Pädagogische Intuition

Johannes Kiersch

Schöpfung aus dem Nichts

Anmerkungen zum Begriff der pädagogischen Intuition bei Rudolf Steiner[1]

                                                                                                     

Ich trage die Rosen, weil ich will.“ „Und warum willst du denn?“ fragte der Reiter. „Für den Willen gibt es keine Ursache“, sagte das Mädchen. Wenn man vernünftig ist, gibt es für den Willen immer eine Ursache“, erwiderte der Reiter. „Das ist nicht wahr“, sagte das Mädchen, „denn es gibt auch Eingebungen.“     

Adalbert Stifter: Witiko

Als Wolfgang Nieke es im Jahre 1999 riskierte, sich als Pädagoge mit dem Thema „Intuition“ zu befassen, wies er einleitend – gleichsam warnend – darauf hin, dass es sich dabei in wissenschaftlicher Hinsicht um eine „Anomalie“ handle, einen im Zusammenhang seriöser Forschung wenig beachteten und eher als störend empfundenen Gegenstand (Nieke, 1999). Inzwischen hat sich nicht nur Gerd Gigerenzer, der Leiter des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin, dazu geäußert (Gigerenzer, 2007). Ein neuerer Überblick verzeichnet eine erstaunliche Zunahme der einschlägigen Studien während der letzten beiden Jahrzehnte  (Sinclair, 2011). Aus waldorfpädagogischer Perspektive wird dabei eine deutliche Einengung des Forschungsinteresses sichtbar. Die Ursachen des irritierenden Phänomens der „Intuition“ werden überwiegend im physischen Leib des Menschen verortet. Es soll sich um ins Unbewusste abgesunkene Wahrnehmungs- und Handlungsgewohnheiten handeln, die als „Bauchgefühl“ wieder auftauchen. Kerstin Oschatz (Tübingen) spricht  in einer informativen Zusammenfassung der gegenwärtigen Forschungslage von automatisierten Interpretationsroutinen (Oschatz, 2015).

Aber wird damit die Treffsicherheit der gemeinten seelischen Vorgänge hinreichend erfasst und erklärt? Die oft so überraschend sachgemäße Entscheidung in bedrohlicher Gefahrenlage? Das Erscheinen von unvorhersehbar neuen Ideen bei Erfindungen und Entdeckungen? Die Erleuchtungserlebnisse der Mystiker, die spirituelle Tiefe der neuen Ideen wirksamer Sozialreformer und Philosophen? Der geniale russische Mathematiker, Naturwissenschaftler und Theologe Pawel Florenski, ein Liebhaber Goethes, schreibt:

 „Primäre Intuitionen philosophischen Nachdenkens über die Welt sind in ihren Anfängen gekennzeichnet durch Aufwallungen, Drehungen, Wirbel, Strudel – ihnen liegt kein rationaler Plan zugrunde. […] obwohl nicht geordnet-verteilt, nicht zählbar-gegliedert, sind diese Aufwallungen des Denkens, ist dieses Wiegenlied und dieses donnernde Hervorbrechen aus der Erde dringend erforderlich, denn da liegen die eigentlichen Quellen des Lebens“

(Florenski 1991, S.140).

Offenbar gibt es auf dem neuen Feld der Intuitionsforschung, das sich jetzt gerade erst konfiguriert, neue Anomalien. Und zu diesen gehört der Intuitionsbegriff Rudolf Steiners.

Jedes Bemühen um eine zutreffende Beschreibung dieses Begriffs wird mit Gewinn einige neuere Forschungsergebnisse einbeziehen, die herkömmliche Auffassungen in Frage stellen. Für die Mehrzahl der kritischen Interpreten des Steinerschen Lebenswerks war es bisher selbstverständlich, dass der Begründer der Anthroposophie seit seinem Eintritt in die Theosophische Gesellschaft im Jahre 1902 eine dualistische Weltanschauung vertreten habe. Die „übersinnlichen“ Erfahrungen, auf die er sich von da an explizit bezieht und die sich für ihn in dem Begriff einer „geistigen Welt“ zusammenschließen, von der er wie von einem fernen Kontinent zu reden scheint, wurden und werden als phantasievolle „metaphysische“ Konstruktionen aufgefasst, ähnlich den Jenseitsvorstellungen alter Religionen. Fundiert wird diese Ansicht besonders dadurch, dass Steiner in seinen kulturgeschichtlichen und vor allem in seinen christologischen Vorträgen vielfältige Bezüge zu religiösen Traditionen hergestellt hat. Inzwischen ist jedoch klar, dass er die scharfen Äußerungen gegen jede Art von Jenseitsglauben und gegen das traditionelle Christentum, die er in seiner anarchistischen Phase gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Anschluss an Nietzsche und Haeckel riskiert hat, nie hat zurückzunehmen brauchen (Hoffmann 2011).  Bis an sein Lebensende blieb er entschiedener Monist. Die “übersinnlichen“ Erfahrungen, von denen er redet und deren deutliche Spuren sich schon im philosophischen Frühwerk finden, erschienen ihm als Emergenz-Erfahrungen in der einen, ungeteilten Wahrnehmungswelt der modernen Menschheit (Heusser 2011, S. 55ff.) Merkwürdiger Weise hat es die bisherige Steiner-Forschung so gut wie völlig versäumt, zu untersuchen, wie Steiner sich in seinem Bemühen um die begriffliche Durchdringung dieser Wahrnehmungswelt von den elementaren Gesetzen des physischen Bereichs, auf welche die moderne Naturwissenschaft seit dem 17. Jahrhundert ihre Welterklärungsmodelle zurückzuführen sucht, über die komplexeren Gesetze der Welt des Lebendigen, die er schon als junger Mensch im Anschluss an Goethe als höhere Stufe der Emergenz beschreibt, zu noch anderen Ebenen des Seins vortastet, die durch ihnen angemessene, erst noch zu entwickelnde Begriffsbildungen denkbar werden könnten.

Eine wichtige Rolle spielt dabei das in der Theorie des Wissens schon seit längerer Zeit diskutierte Problem des Cartesian  Split, der Subjekt-Objekt-Spaltung in der Sinneslehre (Scheurle, 1984). Als Steiner im Jahre 1905, im Anschluss an seine Aufsatzreihe „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ zum ersten Mal über die Wahrnehmungsstufen von Imagination, Inspiration und Intuition schreibt, beginnt er mit dem Ausblick auf eine „Erkenntnislehre der Geheimwissenschaft“, eine Methodenlehre des übersinnlichen Erkennens, wie wir heute vielleicht sagen würden (SKA 7, S. 167). An einer solchen Methodenlehre hat er unablässig weiter gearbeitet, ohne sie systematisch zum Abschluss bringen zu können. Und bis heute fehlt jeder Versuch einer zusammenfassenden Darstellung seiner diesbezüglichen Bemühungen. Als wichtige Vorarbeiten dazu dürfen einige neuere Untersuchungen über die besonderen Ausdrucksformen der Anthroposophie gelten: die Wandtafelzeichnungen, mit denen Steiner viele seiner Ausführungen illustrierend begleitet hat ( Bockemühl & Kugler, 1993; Sam, 2000 und 2002)), die spirituelle Gestik seiner Eurythmie, die besondere sprachliche Form seiner mantrischen Spruchdichtung, die multiperspektivische Art der Begriffsbildung in seinem schriftstellerischen Werk und in seinen Vorträgen, seine Metaphorik (Sam, 2004; Demisch u. a. 2014) . Anthroposophie, schreibt Steiner, male ihr Bild vom Menschen „mit ganz andern Mitteln“ als die empirische Forschung, die von Sinnesdaten ausgeht (Steiner 1917, S. 45). Der Kulturhistoriker Ulrich Kaiser hat darüber hinaus das Verhältnis von Dogma und Wahrheit in der Anthroposophie, den performativen Charakter der Vorträge Steiners und deren Kontextabhängigkeit beschrieben (Kaiser, 2011 und 2014).

In der anthroposophisch orientierten Sekundärliteratur ist die im Jahre 1905 skizzierte Stufenfolge von Imagination, Inspiration und Intuition ein weit verbreiteter Topos, der hier nicht im Einzelnen erörtert zu werden braucht. Unabhängig davon entscheidet sich die wissenschaftliche Diskutierbarkeit der Schilderungen Steiners an der kontrovers beurteilten Frage, ob das erkennende Subjekt als Beobachter unverändert zu denken sei, wie das im Bereich der Naturwissenschaften noch bis heute weitgehend vorausgesetzt wird, oder ob es sich im Prozess des Wahrnehmens selbst verändern müsse, um der Wirklichkeit auf die Spur zu kommen. Der französische Kulturhistoriker Antoine Faivre hat für diesen Veränderungsprozess den Terminus „Transmutation“ eingeführt, der in der neueren Esoterikforschung eine entscheidende Rolle spielt (Faivre, 2001). Lässt man mit Faivre und auch mit Steiner zu, dass die stufenweise Veränderung des erkennenden Subjekts nicht nur eine zulässige Begleiterscheinung, sondern eine elementare Voraussetzung für jedes Verstehen auf höheren Ebenen des Seins, höheren Stufen der Komplexität im Sinne der Emergenztheorie, darstellt, so wird auch Steiners „Intuition“ als womöglich höchste Stufe des Erkennens denkbar, eine erhabene Stufe mystischer Wesensvereinigung, weit entfernt vom weltzugewandten, tätigen Alltagsbewusstsein, dessen Förderung Steiner mit seiner anthroposophischen Ideenwelt vor allem anderen im Auge hatte.

Im Hinblick hierauf ist ein Begriff von höchstem Interesse, den Steiner im Sommer 1909 neu einführt, während er seine „Geheimwissenschaft im Umriss“ fertigstellt, eine umfassende Darstellung seiner Lehre von der Evolution des Menschen und der Welt (SKA 8). Vor den Mitgliedern der theosophischen „Loge“ in Berlin spricht er über die Evolution der Lebewesen in ihrem Werden und Vergehen, ihr Eingebundensein in die Zwänge von Vererbung und Umwelt und eines instinktgebundenen Verhaltens, dem auch der Mensch in vieler Hinsicht unterliegt. Dieser unterscheide sich jedoch von allen anderen Lebewesen dadurch, dass er nicht nur Tatsachen wahrnehme, sondern Beziehungen zwischen Tatsachen herstellen könne. Erst dadurch werde er erziehungsfähig. Dieses Herstellen von Beziehungen nennt Steiner hier eine „Schöpfung aus dem Nichts“, eine freie Tat, die sich jeder Kausalerklärung entzieht. Sie ereigne sich auf drei Ebenen: im denkenden Erkennen durch die Betätigung in den Gesetzen der Logik und das verstehende Auffassen von Naturgesetzen; auf der Ebene des Fühlens im selbstständigen „Geschmacksurteil“, dem Urteil über Schön und Hässlich beim ästhetischen Erleben; auf der Ebene des Wollens im Entscheiden darüber, was angesichts einer konkreten Situation als „recht und billig“ gelten darf (Vortrag vom 17. 6. 1909 in: Steiner, 1959, S. 297ff.). Diese Differenzierung der „Schöpfung aus dem Nichts“ nach den drei klassischen Seelenvermögen darf als ein bedeutender Schritt in der Genese der Dreigliederungsidee gelten, an der Steiner dreißig Jahre lang gearbeitet hat, bis sie in seinem Buch „Von Seelenrätseln“ im Jahre 1917 in gültiger Fassung zutage trat und anschließend in den Kursen für das Lehrerkollegium der 1919 gegründeten Waldorfschule und in anderen Arbeitszusammenhängen weiter ausgebaut wurde (Kiersch 2011). Steiner hat mit seiner Idee der „Schöpfung aus dem Nichts“ als einer autonomen Herstellung von Beziehungen zwischen Tatsachen schon zehn Jahre vor der Begründung seiner Reformschule ein zentrales Prinzip seiner Pädagogik entdeckt. Das gesamte Methodenarsenal der Waldorfschule lässt sich von da her verstehen: als ein umfassendes Arrangement von Hilfsmitteln, ein produktives Milieu, für die Selbsterziehung des jungen Menschen. Exemplarische Strategien finden sich in der Methodik sämtlicher Fachgebiete des Waldorf-Lehrplans, man denke etwa an den phänomenologischen Astronomie-Unterricht nach Walter Kraul (2014),  an die auf den Schularzt Eugen Kolisko zurückgehende erste Chemiestunde, wie sie Peter Buck und Manfred von Mackensen in ihrer weit verbreiteten Studie zum naturwissenschaftlichen Unterricht in der Waldorfschule beschrieben und kommentiert haben (Buck & Mackensen, 2006), an den Grammatik-Unterricht nach Erika Dühnfort  (1997), an die herausfordernde Annäherung an die Rätsel der Bewusstseinsentwicklung der Menschheit, wie sie Andre Bartoniczek für den Geschichtsunterricht erprobt und einleuchtend beschrieben hat (Bartoniczek 2014).

Als „Schöpfung aus dem Nichts“ darf demgemäß auch betrachtet werden, was Steiner ein Jahr nach der Begründung der Waldorfschule dem jungen Lehrerkollegium als esoterische Begründung idealen pädagogischen Handelns ans Herz legt. Wohl aus der Einsicht, dass seine Hörer die erst unmittelbar vor der Schulgründung, im Vorbereitungskurs des Jahres 1919, vorgetragene Skizze der menschenkundlichen Grundlagen der angestrebten neuen Pädagogik für ihren Umgang mit den Schülern noch nicht hinreichend umgesetzt hatten, deutet er auf eine Folge von drei Schritten pädagogischer Übungspraxis. Grundlage sei das gedankliche Verarbeiten der anthroposophischen „Menschenkunde“, das „Studium“. Dieses sei in regelmäßiger Übung durch Meditation zu vertiefen und erreiche damit die unbewusste Ebene des „schlafenden“ Wollens. Daraus werde dann in der aktuellen pädagogische Situation ein „Erinnern aus dem Geist“, ein glücklicher Einfall für einen sicheren erzieherischen Griff. „Abends meditieren Sie Menschenkunde und morgens quillt Ihnen heraus: Ja, mit dem Hans Müller musst du jetzt dies oder jenes machen …“ (Steiner, 1972, S. 52). Der Bezug zur Idee der „Schöpfung aus dem Nichts“ leuchtet hier unmittelbar ein. Es geht nicht um eine kausalanalytisch zu deutende Herleitung aus irgendeiner Theorie, um einen durch Planung verursachten pädagogischen Akt, sondern um situationsgemäße Intuition.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach Steiners Auffassung „Intuition“ keineswegs nur auf der erhabenen Höhe ihrer Vollendung im mystischen Einweihungserlebnis gesucht werden darf. Sie sei ein Element des durchaus alltäglichen Erkenntnislebens. Steiner vergleicht Intuition mit „Perlen“, die wir, wie die Hühner, unbeachtet am Wege liegen lassen (Steiner, 1992). Das Wort „Intuition“ werde mit Recht im alltäglichen Sinne gebraucht, weil „die höchste Erkenntnis über das geistige Leben für das sittliche Gebiet bis in das einfachste, ja primitivste Menschengemüt herunterkommen muss“ (Steiner, 2000, S. 71).

Offensichtlich ist die Nähe des damit gekennzeichneten Intuitionsbegriffs zu Friedrich Copeis Betrachtungen über den „fruchtbaren Moment im Bildungsprozess“ (Copei, 1966; Schopf, 2011). Wer weiter sucht, mag auch an die Übungspraxis der künstlerischen Disziplinen im Zen-Buddhismus denken, an den ideellen Hintergrund der Teezeremonie oder des Blumensteckens (Ikebana).

Die von Steiner angestrebte praktische Wirkung seiner Intuitionslehre dürfte aber nicht nur davon abhängen, ob tätige Pädagogen sich dazu entschließen, sich ernsthaft auf die esoterischen Übungswege einzulassen, die der Begründer der Waldorfpädagogik in seinen Schriften und Vorträgen beschreibt. Sie könnte auch zu einer Revision elementarer ethischer Orientierungen führen, die angesichts der dramatischen Veränderungen der Lebensumstände von Kindern und Jugendlichen heute mehr denn je gefordert ist. Zum wenig hinterfragten professionellen Selbstverständnis aller Pädagogen gehört heute die Anpassung an elaborierte Prozeduren von Planung und Evaluation. Wer auf den üblichen Wegen beruflicher Qualifikation daran gewöhnt worden ist, sich diesen Prozeduren zu unterwerfen, neigt dazu Intuitionen als Störungen seines solide begründeten Berufsverhaltens zu betrachten. Wer hingegen es für denkbar hält oder gar darauf wartet, dass solche Störungen ein beträchtliches Bildungspotential eigener Art entfalten können, wird nicht mehr vor allem danach fragen, ob er alles „richtig“ macht, ob er den Forderungen des Lehrplans, den Vorschriften einer Behörde oder der Waldorf-Tradition gerecht wird, sondern für ganz andere Perspektiven aufgeschlossen sein. Kann ich Freude daran entwickeln, wie Kinder und Jugendliche von sich aus „Beziehungen zwischen Tatsachen“ herstellen, Zusammenhänge entdecken,  nach dem Sinn der Dinge fragen? Kann ich mich mit gesteigerter Empathie auf aktuelle Seelenlagen einlassen? Kann ich unerwartete Situationen realistisch einschätzen und aufgreifen? Kann ich meiner Phantasie in solchen Situationen freien Spielraum gewähren? Schon Nel Noddings und Paul J. Shore, die in ihrer grundlegenden Schrift von 1984 vom „Erwecken des inneren Auges“ gesprochen haben, weisen auf solche elementaren Fragen hin (Noddings & Shore, 1984). Der Kognitionspsychologe Robin M. Hogarth plädiert in einem betont unkonventionellen Buch  für „playful exploration“. In seinem Kapitel „Explore Connections“ kommt er dem Steinerschen Herstellen von „Beziehungen zwischen den Tatsachen“ bemerkenswert nahe.

„Instead of accepting the terms in which problems are explicitly stated, we should give or imagination free rein and see where it takes us“
(Anstatt die Bedingungen zu akzeptieren, unter denen Probleme explizit genannt werden, sollten wir unserer Phantasie freien Lauf lassen und sehen, wohin sie uns führt. [Red])

Hogarth, 2010, S. 210

Die Kunst des freien Erzählens könnte dafür eine Schlüsselrolle spielen (Oehlmann, 2007), auch die Pflege eines Sinns für Humor, wofür Steiner, mit Bezug auf Jean Paul, eine besondere „Epoche“ des Deutschunterrichts der neunten Klasse seiner Schule vorgeschlagen hat (Konferenz vom 17. Juni 1921, in Steiner, 1975, S. 22f.). Umberto Eco hat in seinem bekannten Kriminalroman „Der Name der Rose“ die verlorene Abhandlung des Aristoteles über das Komische zum gefährlichsten Buch der Weltgeschichte erklärt: eine Kampfansage gegen den Ungeist von Lückentexten, Arbeitsbögen, Multiple Choice-Wettbewerben, PISA-Testbögen oder die unsägliche Banalität der gängigen Ratgeber für Prüfungsvorbereitungen („Abiturwissen“ und dergleichen).

Man muss nicht an Steiners Lehre von den Engel-Hierarchien glauben oder an die übersinnlichen Welten, die er mit seinem unablässigen Suchen nach der begrifflichen Durchdringung von Wahrnehmungen auf höheren Stufen der Emergenz zu fassen versucht hat, um seinen Begriff von Intuition für aufschlussreich und anregend zu halten. 

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Literatur

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Bartoniczek, A. (2014). Die Zukunft entdecken. Grundlagen des Geschichtsunterrichts. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben.

Buck, P. & Mackensen, M. von (2006). Naturphänomene erlebend verstehen. Über Physik- und Chemieunterricht an Waldorfschulen und ihre erkenntnismethodische und didaktische Grundlegung.. Köln: Aulis.

Copei, F. (1966). Der fruchtbare Moment im Bildungsprozess. Heidelberg: Quelle und Meyer.

Demisch, E. & Greshake-Ebding, Ch., Kiersch, J., Schlüter, M., Stocker, G. (Hg.) (2014). Steiner neu lesen. Perspektiven für den Umgang mit Grundlagentexten der Waldorfpädagogik. Frankfurt a. M.: Peter Lang.

Dühnfort, E. (1997). Der Sprachbau als Kunstwerk. Grammatik im Rahmen der Waldorfpädagogik. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben.

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Scheurle, H. J. (1984). Die Gesamtsinnesorganisation. Überwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung in der Sinneslehre. Stuttgart: Thieme.

Schopf, J. (2011). Die Bedeutung des „fruchtbaren Moments im Bildungsprozess“ bei Friedrich Copei vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion der Prozessqualität von Unterricht. Diplomarbeit an der Universität Wien.

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Steiner, R. (1975). Konferenzen mit den Lehrern der Freien Waldorfschule in Stuttgart 1919 bis 1924. Bd. 2. GA 300/2. 

Steiner, R. (1992). Vortrag vom 29. 5. 1913. In: Die okkulten Grundlagen der Bhagavad Gita. GA 146. S. 29-36.

Steiner, R. (2000). Fragenbeantwortung am 20. 8. 1923. In: Initiations-Erkenntnis. GA 227. S. 71-80.

Steiner, R. (2015). Die Stufen der höheren Erkenntnis. SKA 7. S. 167-209.

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[1]    Nach einem Vortrag an der Freien Hochschule Seminar für Waldorfpädagogik in Stuttgart am 18. 3. 2016.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Die Intuition ist als nicht irrtumsfähige Erkenntnis in der gängigen Philosophie ein NoGo. Da nach Popper Theorien nur falsifizierbar, nicht aber verifizierbar sind und nach Brentano die Evidenz nicht zu den philosophischen Begriffen gehört (sie kann nicht bewiesen werden, da der Beweis evident sein müsste (Tautologie), die kann auch nicht widerlegt werden, da die Widerlegung evident sein müsste (Selbstwiderspruch)) ist es um die Fundamentierung der Wahrheit schlecht bestellt.

     

    Wenn man die Sicherung höheren Erkenntnisse untersucht, so stösst man bei der

    • Imagination auf das wissenschaftliche Pendant des Modells. Modelle (Atommodell, Kohlenstoffring etc.) sind bildhafte Veranschaulichungen von Forschungsergebnissen.
    • Das Pendant zu Inspirationen sind Theorien, Sätze, Formeln. Sie kommen als Ideen, Einfälle und bedürfen der Einbettung in ihre zugehörige Umgebung. Das gilt auch für Inspirationen: Sie müssen in ihren Zusammenhang eingebettet werden, um Sicherheit zu gewinnen, dass ich nicht einer Projektion (Wunschvorstellung) unterliege.

     

    Bei den wissenschaftlich „anrüchigen“ Intuitionen (wegen der Unfehlbarkeit) ist die Sachlage paradox:

    • Bei einer Intuition ist für den, der sie „hat“, der Fall klar, weil er mit seinem ganzen Wesen zusammenfliessen kann mit dem anderen Wesen, sodass es keine Subject/Objekt Spaltung mehr gibt. (Intuitionen sind Erkenntnisse vom Typ: „Ich werde meiner selbst gewahr.“ (Einfachster Fall). Da wäre es krank, daran zu zweifeln, ob ich das bin, der sich da auf sich selbst richtet.
    • Anderen kann ich aber von diesen Intuitionserfahrungen nur erzählen. Sie haben für Andere keine Verbindlichkeit. Die entsteht erst, wenn der Andere selbst sich zu der in Frage stehenden Intuition empor rankt.

    Insofern sind auch die Intuitionen Rudolf Steiners für uns zunächst Erzählungen, die auf ihre Realisation warten.

  2. Reimar Menne

    Lieber Johannes Kiersch,

    danke für Ihre Ausführungen zu ‚Intuition‘

    sie erinnern mich an erkenntnisfördernde und meine therapeutische Tätigkeit sehr unterstützende Lektüre: Daniel Stern, verstorbener Psychoanalytiker, hat sich in Reihenuntersuchungen durch Interaktionsbeobachtungen zwischen Mutter und Baby dem ‚Gegenwartsmoment‘ genähert, in welchem Gegenwart als lebendige Zeit wahrgenommen wird. Ein nicht nach Sekunden sondern nach Sinneinheit erspürbarer Moment von der Länge einer Gedichtzeile oder eines musikalischen Motivs. In diesem können in der Therapie die ‚Veränderungsprozesse‘ zur Wirkung kommen, die offensichtlich mit dem Wirksamwerden einer Intuition einhergehen:
    Das ungeplante und oft der Erwartung und dem definierten Setting zuwiderlaufende Ereignis, welches eine gegenseitige Wesenswahrnehmung entstehen lässt.

    Dies als ein Beispiel für die Beobachtung der Realität von Intuitionen und ihrer Bedeutung.

    Reimar Menne

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