Hochschule für Geisteswissenschaft und Mysterienkunst als Michael-Dienst

Ein Dialog zwischen
Christiane Gerges (CG) und Andreas Heertsch (AH)

Vorbemerkung

Wir formulieren unsere Sichten hier aus der Ich-Perspektive als Erzählungen, um einerseits diesen Text lesbar zu halten und andererseits, weil wir den Leser anregen möchten, sich eine eigene Sicht zu bilden oder seine Sicht an unseren zu überprüfen. Schließlich wollen wir mit dieser Darstellungsform dem Rechnung tragen, dass zeitgemäßes Geistesleben nicht mehr abstrakt im Sinne von Darstellung und Einsehen, sondern durch Eintauchen und eigenes Besinnen gefördert wird. Oder besser formuliert: Wir haben mit der Anregung zum Eintauchen in die Sicht eines Anderen und anschließendem Besinnen gute Erfahrungen gemacht, denen wir hier Rechnung tragen und die wir hier einbringen wollen.

Obwohl wir als Leser dieses Textes eher mit den Klassenstunden gut Vertraute, mit dem Michael-Dienst dagegen weniger Vertraute im Auge haben, hoffen wir, dass wir auch für andere mit beidem weniger Vertraute beachtenswerte Fragen aufwerfen.

Fragestellung

(AH) Als wir in der Jugendsektion in den 70’er Jahren Jörgen Smit zum Halten selbst verantworteter („freier“) Klassenstunden anregten, hörte ich wie jemand ihn fragte, ob er nicht auch die 2. Klasse einrichten wolle, was ich damals blasphemisch fand! Er antwortete auch entsprechend, dass die Inhalte der 1. Klasse noch für lange genug Vertiefung und Entwicklungsmöglichkeit böten.

Später stieß ich dann auf Stellen, die eine Ahnung vermitteln können, wohin die noch nicht verwirklichten Teile dieser drei Klassen hätten führen sollen:

Zunächst der in der Gesamtausgabe publizierte Hinweis Rudolf Steiners [1]:

„Bitte, erschrecken Sie nicht vor diesen drei Klassen, meine lieben Freunde. Die drei Klassen waren ursprünglich in der Anthroposophischen Gesellschaft schon da, nur in einer anderen Form, bis zum Jahre 1914.“

Rudolf Steiner GA 260, S. 50f

Dann das wohl wichtigste Gespräch zwischen Rudolf Steiner und Ludwig Polzer-Hoditz am 11.11.24[2] bezüglich des Aufbaus der drei Klassen:

„Die Klasse für die Mitglieder der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft soll nach der Einrichtung [der Meisterklasse] in die Hand der Frau Ita Wegman gegeben werden. Eine Klasse II für Sektionsleiter und Sektionsmitglieder sowie für Vortragende, Landesleiter, initiativ tätige Mitglieder, welche also noch einzurichten sein wird, werde ich durch Frau Doktor [Steiner] leiten lassen. Dann endlich als Abschlussklasse eine Klasse, die ich persönlich als eine Art Meisterklasse einrichten und leiten werde.

Er sprach dann über die Einzelheiten und die Mitgliederzahl der drei Klassen. Klasse I: unbegrenzt. Die Texte werden ähnlich wie die Wochensprüche zur geistigen Individualität unmittelbar zu sprechen haben, sodass aus dem Übe-Geist-Besinnen ein Geisterleben und Miterleben des menschlichen Schicksalsstromes in verantwortlicher Bewusstheit erfolgen kann.

Die Klasse II: 36. Hier wird aufgenommen werden können, wer über entsprechende Erfahrungen als Mitglied der I. Klasse auf geistigem Felde verfügt. Hier werden moralische Qualitäten von entscheidender Bedeutung zu sein haben.

Die Kasse III: 12.Diese seien dann der esoterische Vorstand. Diese Klasse III, die sogenannte Meisterklasse, wird einen rein kultischen Charakter haben, wo an den drei Altären gleichzeitig zelebriert werden wird. Werden wir uns in der Klasse II an die entsprechenden Erzengelwesen wenden, so in der Klasse III unmittelbar an den Geist der Erde, an die Christus-Wesenheit.“

Thomas Meyer: Ludwig-Polzer-Hoditz – Ein Europäer, Basel 1994,S. 562f

Diese Anforderungen und Aufnahme-Bedingungen rückten mir die Überlegungen über eine Weiterentwicklung der Hochschule in weite Ferne. (Selbst wenn Rudolf Steiner eine Klasse II eingerichtet hätte, wer sollte denn heute über die Aufnahme entscheiden, wo ja schon für die Aufnahme in die Klasse I gerügt wird, dass der Aufzunehmende ein Schreiben über seine Beweggründe zu verfassen habe.[3])

Als Manfred Schmidt-Brabant für die Michaeli-Konferenz 1993 einige Themen der Teilnehmenden im Voraus sammelte und daraus 12 Arbeitsthemen vorschlug, gab es auch den Vorschlag 8[4]:

„Da wird öfter gefragt, ob es nicht möglich sei, zur Errichtung einer 2. Klasse zu kommen. Spürt man dem Grund dieser Frage nach, so findet man Sehnsucht und Bedürfnis nach ritueller-kultischer Arbeit, wie sie ja für die 2. Klasse vorgesehen war. Da wird dann durchaus von einer strengen, ordensmäßigen Auffassung der Klasse gesprochen; und immer wieder auch von energischen Schritten hin zu einem neuen Lebenssakramentalismus, einem wahren anthroposophischen umgekehrten Kultus.“

Thomas Meyer: Ludwig-Polzer-Hoditz – Ein Europäer, Basel 1994,S.562

Dies kommentierte damals Thomas Meyer[5]:

„Schon allein, dass man es wagen konnte, den Mitglieder ein solches Ansinnen nach möglicher Errichtung einer ‚2. Klasse‘ als etwas wirklich Ernstzunehmendes anzubieten, zeigt, welches ‚esoterisches‘ Niveau siebzig Jahre nach der Weihnachtstagung tonangebend ist.“

Thomas Meyer: Ludwig-Polzer-Hoditz – Ein Europäer, Basel 1994,S. 535

Wobei er esoterisch in Häkchen setzte, um deutlich zu machen, dass er diese Zusammenfassung für blasphemisch hielt. Mit dieser Sicht stand er nicht allein.

Mir ging es damals wie manchen: „Wichtiges Thema, aber das können wir nicht…“. Dabei muss ich mir aus heutiger Sicht einwenden, dass ich hier nur dem anthroposophischen Mainstream folgte, denn noch bevor ich 1979 Mitglied in der Freien Hochschule wurde, wurde ich in den esoterischen Jugendkreis aufgenommen, weil ich dringend nach einer spirituellen Zusammenarbeit suchte, die sich in den Dienst des Zeitgeistes stellen will.

Wer damals intensiv Anthroposophie vertiefen wollte, wandte sich an das Priesterseminar in Stuttgart, da man dort an die Studierenden hohe Ansprüche stellte, was mir in der Hochschule als intensive Arbeitsform über lange fehlte.

In dieser Befangenheit (nicht zu bemerken, dass tatsächlich die 1.Klasse nur das Individuum und seine Entwicklung thematisiert) verweilte ich mehrere Jahrzehnte, bis mich eine Freundin kürzlich auf eine Tagung über Mysterien-Kunst von Christiane Gerges (die ich bis dahin noch nicht kannte) hinwies. Da mein Terminkalender eine passende Lücke aufwies und ich bei mir zu diesen Fragen auf einen blinden Fleck stieß, nahm ich also teil und entdeckte, dass in der Frage: „Wie geht es weiter?“ in der Vergangenheit (vermutlich aus obigen Gründen) sehr viel Porzellan zerschlagen worden ist.

Ich sehe also Klärungsbedarf: Offenbar ist der (hinter den Mysterienkunst Treffen) stehende Michael-Dienst nach dem 1. Weltkrieg bis heute weiter gepflegt worden.

Ich erwarte mir von unserem Austausch auch

  • Einblicke in die Frage: Wie hat Rudolf Steiner die Esoterik von vor dem 1. Weltkrieg in die 1. Klasse umgewandelt?
  • Und Ahnungen: In welche Richtungen wäre der Aufbau dieser 3 Klassen vielleicht weitergegangen?

Deshalb meine erste Frage an Dich, Christiane Gerges:

Wie bist Du zur Mysterienkunst als Michael-Dienst gekommen?

(CG) Ich besuchte 1981 den Christian Rosenkreutz Zweig, weil einfach der Name so schön klang. Der damalige Zweigleiter Lothar-Arno Wilke machte damals auf mich damals allerdings den Eindruck eines verbitterten alten Mannes, so dass ich dort nie mehr hingehen wollte. Doch beim Verabschieden fragte er mich, ob ich einen Priesterkurs, den er gerade veröffentlichte, korrigieren wolle. So blieb ich dann doch „hängen“, nichts ahnend, welchen Weg ich damit einschlug. Es folgten höchst spannende Stunden mit ihm. Er eröffnete mir beispielsweise, was einen Kultus ausmacht, wie sich ein Abel- von einem Kainskultus unterscheidet. Und führte mich so nach und nach in den Michael-Dienst ein.

Gleichzeitig wurde ich aber auch zunehmend sensibler für Übergriffe in die persönliche Freiheit anderer Menschen, denn Lothar-Arno Wilke war wie so mancher seiner Generation, seelisch schwer kriegstraumatisiert, cholerisch und mit ‚heiligem’ Zorn gegen jeden, der nicht seine ‘Wahrheit’ der Anthroposophie vertrat: Die Generation, die auf den Mitgliederversammlungen im Großen Saal des Goetheanums buchstäblich handgreiflich wurde und sich gegenseitig mit Zitaten bekämpfte. Doch hatte er sich auch große geistige Fähigkeiten erarbeitet, was den Kultus betrifft. So hatte er über 10 Jahre Unterweisungen von Friederike Westphal erhalten, die im Michael-Dienst noch mit Rudolf Steiner zusammen in Hamburg gearbeitet hatte und diesen nach dem 2. Weltkrieg weiterführte. Er war auch zweimal bei Marie Steiner auf dem Beatenberg und hat von ihr weitere Instruktionen für den Michael-Dienst erhalten. Später, als ich begriff, was seine Veröffentlichungen anderen Menschen antaten, fragte ich ihn, warum er das tue? Er antwortete mir, er habe Marie Steiner das Versprechen gegeben, alles zu veröffentlichen, das nicht mehr im berechtigten Kreis bewahrt ist und was deshalb zu Machtmissbrauch führe. So konnte ich sein Verhalten immerhin ertragen, obwohl mir das recht schwer wurde und tolerieren, obwohl ich selbst anders gehandelt hätte.

Puppenstuben-Tempel und umgekehrter Kultus

Als ich dann 20 Jahre alt war, habe ich mir einen Schuhkarton genommen und ihn wie einen “Puppenstuben-Tempel” eingerichtet, um die verschiedenen Rituale aufzustellen, die ich als Frau nicht besuchen konnte.

(AH) Moment! Du hast Dir tatsächlich einen Tempel in einen Schuhkarton gebaut? Reicht es denn nicht, das in der Vorstellung zu vollziehen? Was wird da anders?

(CG) Ich kann mit dem Denken ganz in der Wahrnehmung bleiben. Wie real solch ein „Puppenstubentempel“ wird, hängt ab von der Fähigkeit zur Hingabe: Wie tief kann ich dann mit dem Willen eintauchen? Es ist wie bei einem spielenden Kind: Seine Puppenstube wird zu seiner ganzen Welt.

Da tauchen wir schon in die Fragestellung eines umgekehrten Kultus ein! Ein Mysterienkultus ist im Gegensatz zu einem Kirchenkultus zunächst reine Kunst! Und mit blossen Vorstellungen komme ich nicht ins Künstlerische. Eine Vorstellung ist ja wie ein Vorurteil und behindert, ja blockiert die Offenbarung des Wesens, dem ich in der Kunst Leib schenken will. Ohne Vorstellung (die Begriffsbildung entsteht hier aus der Wahr­nehmung, nicht aber aus meiner Vorstellung) kann ich die ganze Zeit in der Wahrnehmung bleiben. So wie ich mein Denken wahrnehmen kann und ich es dann als eine Art von Eurythmie, also als Kunst entdecke, so kann ich auch in meinen Handlungen ständig wahrnehmend bleiben, so dass ich es bin, der handelt.

(AH) Eigene Vorstellungen als Inspirationsblockade: Spannend! Die Blockade besteht wohl darin, dass mein Erkenntnisfilter das, was kommen will, so verdünnt, dass es zum bisherigen passt. Und das, obwohl wir ja wissen, dass jede neue Erkenntnis, das bisherige manchmal eben nicht ergänzt, sondern „über den Haufen werfen kann“…. Aber zurück zur Puppenstube: Könnte ich das nicht auch innerlich – ohne Puppenstube – machen?

(CG) Naja, ich benötige die Puppenstube nicht etwa, weil ich in meiner Vorstellung oder meiner Konzentration zu schwach bin. Sie wird mir künstlerischer Ausdruck von dem, was ich an Willensbewegungen wahrnehmen kann.

Trage ich ein Festkleid in der Oper, weil es der Kleiderregel entspricht, oder trage ich es als künstlerischen Ausdruck meiner Festesstimmung? Da ist doch ein innerer Unterschied, der sich äußerlich nicht bemerkbar machen muss. Ich kann die Festesstimmung auch alleine im Inneren erzeugen, selbst wenn ich Jeans anhabe. Aber es stimmt für mich etwas nicht an meiner Ganzheit, wenn ich nicht bis in die Kleidung hinein ein Gesamtkunstwerk werden kann.

Ende der Vorkriegsesoterik

(AH) also zurück zu Deinen Erlebnissen und Erfahrungen in Hamburg: Wie stimmen Deine Erlebnisse mit der Tatsache zusammen, dass Rudolf Steiner den damaligen Michael-Dienst zum Kriegsanfang aufgehoben hat?

(CG) Oh, er hat nur die Arbeit, die nicht verborgen stattfinden konnte (da 600 Teilnehmer) ‚schlafen gelegt‘, wie er in seiner Biografie schreibt.[6] Das ist ein freimaurerischer Ausdruck, wenn man eine Gruppe wegen einer Notsituation, wie in diesem Falle der Kriegsausbruch, für einige Zeit in Ruhe setzt. Also, er hat es nicht geschlossen!

Du erwähnst oben Rudolf Steiners Gespräch mit Ludwig Polzer-Hoditz: Bevor sie über die Inhalte der drei Klassen sprachen, fragte dieser, wie er die Klassenstunden halten solle. Und Rudolf Steiner antwortete ihm „in liebevollem Tonfall“: „Machen Sie es, wie sie wollen.“ Dann Polzer: „Damit übernehme ich eine verantwortungsvolle Aufgabe. Die Kontinuität der ME [Mystica AEterna; Anm. CG] ist gewahrt und der Zeit entsprechend gewandelt.[7] Von Polzer ist auch überliefert, dass 1918 eine gemeinsame kultische Arbeit mit Rudolf Steiner stattfand und an diese anknüpfend, übernahm er das Aufstellen eines Rosenkreuzes und Entzünden von drei Kerzen während die Klassenstunde.[8]

Auch Jules Sauerwein, ein französischer Freimaurer, berichtet von Hochgradarbeiten in Dornach, zu denen er extra während des Krieges fuhr.[9]

In Hamburg gab es eine außergewöhnliche Situation dadurch, dass Otto Westphal ein Haus in der Innenstadt mit Tempelräumen für den Michael-Dienst ausgestattet hatte. Otto Westphal bezog das ‚Schlafen-Legen‘ nicht auf seine – im Privathaus geschützten – Veranstaltungen. So ist in Hamburg durchgehend weitergearbeitet worden. Einen Kultus durchgehend durchzuführen, heißt nicht, dass man etwa in vollem Ornat zelebrieren muss, sondern es kann schon reichen, eine Kerze auf einem Tisch anzuzünden, solange man das innere Verhältnis mit den Wesen des Dienstes pflegt.

Otto Westphals Frau Friederike erzählte Lothar-Arno Wilke und seiner ersten Frau Helke davon, dass während der beiden Weltkriege einige Frauen – als Strickkreis getarnt – weiter die Rituale pflegten. In den Tempelräumen dieses Hauses war schon 1912 der (oben erwähnte) Christian Rosenkreutz Zweig begründet worden, dessen Einweihung Rudolf Steiner mit einem Ritual des Michael-Dienstes vollzog.[10]

Ist es vorstellbar, dass Rudolf Steiner einen Dienst für die geistige Welt einrichtet, von dem er erzählt, dass er notwendig ist für die Zukunft der Erde, um ihn dann einfach zu beenden?

Großmeisteramt

(AH) Wenn ich richtig verstanden habe, dann hat Rudolf Steiner von Theodor Reuss das Grossmeisteramt erhalten. Ist das dann an Otto Westphal übergegangen?

(CG) Ja. Mir ist allerdings nicht bekannt, wann. Rudolf Steiner hat seit 1911, als er die Anthroposophie in neuer Deutlichkeit herausarbeitete, vorgeschlagen, dass jeder selbst in seinem Herzen den geistigen Anschluss vollziehen soll. Besonders dass keine Aufgabe aus einer Fremdbestimmung übernommen wird, sondern nur aus dem Ich heraus! Von daher auch hat er keinen Nachfolger ernannt. Er hat Otto Westphal anerkannt als jemanden, der sich den Anschluss an Christian Rosenkreutz geschaffen hat und ihn sogar geschützt hat, wenn er Briefe bekam, die Westphal angriffen. Zu Rudolf Steiners ersten Todestag hat Marie Steiner eine Michael-Dienst Handlung vollzogen. Dann hat sie jedoch die Bitte von Ita Wegmann und Albert Steffen, den Michael-Dienst in Dornach wieder aufzugreifen, abgelehnt, weil die Mitglieder nicht reif seien. So blieb nur noch Otto Westphal und Ludwig Polzer-Hoditz übrig. Marie Steiner wusste auch von der Arbeit in Hamburg und hat Mitgliedern aus Hamburg weiterhin Unterweisungen diesbezüglich gegeben. Ludwig Polzer-Hoditz hat nur innerhalb der 1. Klasse (wie oben beschrieben) weitergearbeitet. Otto Westphal dagegen hat die Michael-Dienst Grade weiter bearbeitet.

Michael-Dienst und Mysterienkunst

(AH) Du hast jetzt immer wieder diesen Michael-Dienst erwähnt. Heute sprichst Du aber von Mysterienkunst als Michael-Dienst. Kannst Du schildern, was Du damit meinst?

(CG)Ich erlebe den Michael-Dienst als einen Mysterien-Dienst im Sinne eines Gesamtkunstwerks. Die Mysterien vereinen alle Künste in sich: Architektur, Bildhauerei, Malerei, Tanz, Gesang, Sprache, Musik. Allerdings – anders als im Alltag – nicht als Ausdruck meines persönlichen Selbst, sondern als sinnlicher Ausdruck des geistigen Wesens, dem das Mysterium dient. Im Michael-Dienst ist es Michael und Misraim, der das Denken zum Herz geleitet …

(AH)Welches Verhältnis hatte denn Rudolf Steiner zu diesem Dienst?

(CG) Er übernahm 1904 die Esoterische Schule (ES) der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft. Damit diese nicht im Egoismus ende, musste sie mit einem okkulten Dienst verbunden werden. Die Theosophische Gesellschaft, die aus den Hochgraden der Maurerei gegründet wurde[11] war dreistufig:

  • Vortragsarbeit,
  • ES
  • okkulter Dienst.

Dieser okkulte Dienst ist in sich auch dreistufig: 3 Klassen, und diese sind wieder in sich in je 3 Grade unterteilt. So dass man 3 x 3 = 9 Stufen hat.

Diesen Zahlenrhythmus hat Rudolf Steiner wohl auch bei der Metamorphose in die Hoch­schule beibehalten, denn der Zahlenrhythmus gehört zum Wesen des Sonnenmysteriums.

Du erwähnst ja einleitend, dass er auf der Weihnachtstagung sagt: „Bitte erschrecken Sie nicht, vor diesen drei Klassen, meine lieben Freunde! Die drei Klassen waren ursprünglich in der AG schon da, nur in einer andern Form, bis zum Jahre 1914.[12]

Rudolf Steiner spricht von 1. Klasse, 1. Abschnitt[13]. D. h. er hatte vor, die Klassen zu unterteilen. Wenn ich die obige Aussage von ihm dazu nehme, dass es drei Klassen geben soll, kann ich mich fragen, ob wohl die anderen auch unterteilt gewesen wären?

Auch die Weihnachtstagung wurde mit 3 x 3 Hammerschlägen eingeleitet![14]

Umbenennung von Michael-Dienst in Mysterienkunst als Michael-Dienst

Du hast im Anschluss an ein Gespräch mit der Leitung der allgemeinen Sektion, dem eine gemeinsame Arbeit über Kultus und Hochschule im Rahmen der Winterarbeit im Goetheanum vorausgegangen war, eine Namensänderung vollzogen: Anstelle der früheren Bezeichnung Misraim-Michael-Dienst sprichst Du jetzt von Mysterienkunst als Michael Dienst. Was hat sich geändert, dass Du einen neuen Namen verwendest?

(CG) Zuerst fand ich es wichtig, dass der Zeitenleib dieses Ritus eine Auffassung im Namen findet: also Misraim-Michael-Dienst verweist gleichzeitig auf seinen freimaurerische Herkunft wie auf die Metamorphose, die Rudolf Steiner damit vollzogen hat. Doch das Goetheanum wird ‚bombadiert’ mit vielen Bestrebungen, die Freimaurerei in die Anthroposophie hineinzubringen. Diese Menschen tauchen unter dem Namen ‚Misraim‘ auf und stellen die unterschiedlichsten Ansprüche an die Hochschule. Um da keine Verwechslung aufkommen zu lassen, habe ich den Namen Misraim wieder fallen gelassen und knüpfe nur an die letzte Namensgebung von Rudolf Steiner aus dem Jahre 1913 an.

Grade des Michael-Dienstes in der Mysterienkunst

(AH) Im diesem Michael-Dienst gibt es also 9 Grade? Kannst Du die genauer beschreiben?

(CG) Sie sind:

  • (1) Sinneseröffnung : Der Einzuweihende wird durch die Sinneswahrnehmungen, von außen nach innen geführt, bis zum Ich-Sinn.
  • (2) Gleichgewicht der Chakren : Die Chakren werden erfahren in ihren seelischen Auswirkungen und mit den Nebenübungen ausgeglichen.
  • (3) Leibfreies Denken: Denken, Fühlen und Wollen werden erfahren als Ich-geführt. (Trennung und Ich-bewusste Zusammenfügung der Seelenglieder)
  • (4) Gleichgewicht des Ich im leibfreien Zustand zwischen Ahriman und Luzifer
  • (5) Christus-Bewusstsein, Umkehrung der Leibeshüllen in Geistselbst, Lebensgeist und Geistesmensch.
  • (6) Berufsbezogene Esoterik, z. B. Wandlung der Architektur durch die Kulturepochen bis hin zur Bildung von Mantren, die das Berufsleben stärken wollen.
  • (7-9) Das Wort: kosmische Bewegungen und Beziehungen (kultische Euythmie), Heilung.

Kannst Du z. B. das Thema: ’Sinne’ in den 19 Klassenstunden finden?

(AH) In der 1. Stunde verweisen sie noch auf eine Welt, in der das Ich sich nicht finden kann. Das ändert sich aber und gipfelt in der 9./14./15./16. Stunde, in der das Einleben in die vier Elemente (Erde, Wasser, …) zum Tor wird, durch das man eintreten kann, um sich des Zusammenwirkens der Hierarchien mit dem Menschen bewusst zu werden.

(CG) Die Art und Weise wie Rudolf Steiner die Mantren der 19 Stunden angelegt hat, entsprechen dem Einweihungsweg des damaligen Michael-Dienstes. Dieser Dienst basiert auf einem dreigliedrigen Ritus, dem Vereinigten Schottischen, Memphis- und Misraim-Ritus, an den Rudolf Steiner anknüpfen wollte (und sogar auch einen entsprechenden Vertrag unterzeichnet hat).

19 Stunden und Michael-Dienst

(CG) Die Art und Weise wie Rudolf Steiner die Mantren der 19 Stunden angelegt hat, entsprechen dem Einweihungsweg des damaligen Michael-Dienstes. Dieser Dienst basiert auf einem dreigliedrigen Ritus, dem Vereinigten Schottischen, Memphis- und Misraim-Ritus, an den Rudolf Steiner anknüpfen wollte (und sogar auch einen entsprechenden Vertrag unterzeichnet hat).

Die Metamorphose ist nicht so einfach zu beschreiben. Wie kannst Du bei einer Rose die Metamorphose beschreiben von dem grünen Blatt zu den Kelchblättern? Ja, da finden sich so grüne Fortsätze an beiden Arten von Blättern… Aber die eigentliche Metamorphose kann man nur erleben, wenn man den Schritt macht, die Bewegung in ihrer Gesetzmäßigkeit, herauszuarbeiten. So wie Du es eben getan hast. Ich bin in einer ganz schwierigen Lage, weil das, was ich behaupte, nicht nachgeprüft werden kann, wenn man den Michael-Dienst nicht kennt. Doch wie soll jemand ihn kennenlernen, wenn er nur Mitgliedern zugänglich ist?

Selbst wenn ich Rituale veröffentlichen würde, hätte man nichts Wesentliches davon, nur die Leiche.

(AH) Nein, das reicht mir nicht! Eine Metamorphose kann man schon nachvollziehbar beschreiben. Das setzt natürlich einen gutwilligen Zuhörer voraus. Der nicht gutwillige sagt einfach: Leuchtet mir nicht ein. (Was natürlich auch an einer unzureichenden Beschreibung liegen kann.)

Ich sehe hier eine Herausforderung: Wenn ich die Ausgangslage kennte (MMD) und dann auf das Ergebnis (1. Klasse) schaue (genauer auf das, was ich davon mir zu eigen machen konnte), dann sollte ich auch die Übergänge beschreiben können. Du hast es am 6° für die Berufsesoterik schon angedeutet, wie sie in den Esoteriken der verschiedenen Sektionen wieder erscheint. In GA 265 finde ich, dass es zur damaligen Einweihungspraxis gehörte, den Einzuweihenden mit verbundenen Augen zu führen, was ihm ein Erlebnis des Abgrunds vermitteln soll. Wenn ich dies in den Klassenstunden suche, dann finde ich das in den Stunden 1-7 nach verschiedenen Aspekten ausgebreitet. Hier aber ohne äußere Hilfsmittel (verbundene Augen). D. h. Rudolf Steiner metamorphosiert das äußere Erlebnis in ein inneres, das ganz in die Verantwortung des Meditierenden gestellt ist. Kannst Du das noch an weiteren Beispielen verdeutlichen?

(CG) Ich kann versuchen, ganz liebevoll detailliert auf die 1. Stunde einzugehen:

1. Klassenstunde und Einweihung

Bei der Einweihung bekommt man in der Freimaurerei als erstes die Augen verbunden und man merkt, dass sich für alles, was das Selbst betrifft, der Tag nun verfinstert.

Doch aus dem Dunklen spricht vertrauensvoll jemand zu mir. Er erscheint mir wie ein Geistesbote, dessen Worte mir aus der Finsternis kraftvoll licht ins Herz wirken. Er hält (mir nicht sichtbar) eine Laterne in seiner Hand. Er nimmt meine Hand und führt mich. Ich fühle wie mein Weg durch ihn erleuchtet wird.

Er spricht mich an, dass der Eingang in die Loge nicht einfach so beantragt werden kann. Die Loge ist keine wesenlose Einrichtung. Zwischen mir und dem, was ich erreichen will, ist tatsächlich ein wesenloses Nichts, wie ein Abgrund. Das Vertrauen zu meinem Bürgen, das wird zum Tor in die Loge. Die Loge besteht aus einem Beziehungsgeflecht, in welchem die geistigen Wesen zur Erscheinung kommen. Ich werde Teil dieses Beziehungsgeflechtes durch dieses Vertrauen. Dieses Vertrauen, das ich jetzt zu dem Bürgen habe, ist das einzige Tor, das in die Loge führt.

Dann werde ich von ihm in eine sogenannte Dunkle Kammer gesetzt. Mir werden die Augen geöffnet. Vor mir in der Flamme einer Kerze sehe ich Aufgeschriebenes, sehe Symbole. Sie vermitteln mir, dass es darum geht, mich wahrzunehmen: Was habe ich für Wünsche? Wie gehe ich mit ihnen um?
Wie bin ich hineingestellt zwischen Morgen- und Abendkräften, zwischen Geburt und Tod?
„O Mensch, erkenne Dich selbst ist der Ruf, der mir hier entgegenschallt.“

Rudolf Steiner hat dem Misraim-Ritus die Tempellegende zugefügt und hat diese, obwohl sie in der schottischen Freimaurerei erst im 3° kommt, schon teilweise im 1° vorgetragen. In der Tempellegende geht es um die Herstellung des Formleibes aus den 7 Planetenmetallen zu einem durchsichtigen Guß, dem ehernen Meer; ‚ehern‘ im Sinne von irdisch. Durchsichtig ist der Formleib dann, wenn man das Geistige im Physischen erkennen kann, wenn man also das Geistige im Physischen durchsieht. Also wie kann ich meinen physischen Leib so wandeln, dass er zum Geistesmenschen erblüht?

In der Tempellegende werden die drei Seelenkräfte beschrieben, die diesen Guß verhin­dern:

Sie tauchen auf als drei verräterische Gesellen, die bei der Herstellung des Gusses diesem jeweils einen Schaden zufügen durch die Worte, die sie sprechen. Als die drei Gesellen Hiram, der den Tempel gebaut hat, ermorden wollen, zeigen sie sich als Illusion des persönlichen Selbst, als Aberglaube und als Zweifel. Ein Freimaurer, der dieses Geschehen intensiv erlebt, dem wirkt dies tief in den Willen, und ihm können von nun an auch im Alltag diese Kräfte sichtbar werden.

(AH) Ist das kein Eingriff in die Freiheit?

(CG) Er ist genauso wenig frei, wie jemand, der in eine Mysteriendrama-Aufführung geht und in Tränen und in innerer Bewegung alles miterlebt. Es war ja seine freie Entscheidung, dies zu wollen, dorthin zu gehen. Zusätzlich ist die neue Art und Weise mit der ich arbeite diejenige, dass keine Handlung ausgeführt wird ohne sie gleichzeitig wahrzunehmen. Dadurch ist das Bewusstsein bei allem dabei. Es gibt also keine ‚Choreographie‘, die nur ausgeführt wird.

Rudolf Steiner bringt in die 1. Stunde ein erstes Kennenlernen dieser drei verräterischen Gesellen:

  • Die Illusion des persönlichen Selbst wird zur Furcht vor dem geistigen Schöpfer-Sein.
  • Der Aberglaube wird zu Hass auf die Geistes-Offenbarung.
  • Der Zweifel bleibt als Zweifel an der Licht-Gewalt des Geistes.

Und zum Schluss der 1. Stunde bringt er die Ermahnung, dass diese Drei zu besiegen sind, bevor einem Flügel wachsen, die einen in das Heilerstrebte gelangen lassen.

Aber in diesem 1. Abschnitt der 1. Klasse achtet Rudolf Steiner den freien Willen des Meditierenden sehr, indem er kultisches Geschehen in Situationsmeditationen metamorphosiert, dadurch bleibt der Meditierende frei: Er wird nicht direkt in seinem Willen angesprochen.

(AH) Du hast jetzt die Parallelität von Michael-Dienst und Klassenstunden mit Bezug auf den Anfang des Weges charakterisiert. Da entsteht bei mir der Eindruck: Was Du vom Michael-Dienst schilderst, wendet sich an die Empfindungsseele (Beispiel: Verbundene Augen, Kerze etc.) die Mantren der Klassenstunden aber an die Bewusstseinsseele als Tor zum Geistselbst. (Beispiel 11. Stunde: Der Tempel erscheint nicht äusserlich, sondern als Bewusstseinsinhalt.) Ist nicht dann der „Ansatz Empfindungsseele“ gegenüber dem „Ansatz Bewusssseinseele“ überholt? Oder mit anderen Worten – Du betonst ja, dass Ihr den Michael-Dienst weiterentwickelt – müsste nicht in diesem Dienst die Klassenstunden diese Teile ersetzen?

(CG) Lass uns das an der 11. Stunde besichtigen. In den einleitenden Worten sagt Rudolf Steiner:

Nur so, wenn allmählich der Mensch sich hineinfindet, zu meditieren in einer immer objektiveren und objektiveren Weise, dann wird er auch jenen intimen, subtilen Gang gehen können, der der wahre Gang der menschlichen Erkenntnis ist. Aber dazu müssen in der verschiedensten Art die gerade auf den Menschen anwendbaren Wahrheiten auch gegenständlich werden.“

Rudolf Steiner, 11. Klassenstunde (GA270 II, S. 31 Ausgabe 1992)

In den Mantren selbst kommt der Tempel ja nicht vor, aber Rudolf Steiner ergänzt diese Situations- und Geschenensmeditation mit der Imagination des dreigliedrigen Tempels, der sich vom Haupt über Herz und Glieder nach unten hin bildet. Er erwähnt dann auch:

„Äussere Tempel standen da, und die früheren Menschen brauchten äussere Tempel. Aber diese äusseren Tempel waren ja nicht die wichtigsten, die wesentlichsten; denn die wichtigsten, wesentlichsten Tempel haben nicht Ort, haben nicht Zeit. … Man kommt zu ihnen, wenn man in der Weise seine Seele übt, wie es hier und wie es zu allen Zeiten in den Mysterien angedeutet worden ist.“

Rudolf Steiner, 11. Klassenstunde (GA270 II, S. 42. Ausgabe 1992)

Dieser innere Tempel verliert der an Wirksamkeit, wenn er „gegenständlich“ wird? Ein Tempel ist doch ein Ort, in dem Menschen und Götter zusammenwirken. Und Menschen sind in die Erdenwelt inkarniert. Das sollten wir doch nicht ignorieren! Sie finden sich als Gemeinschaft im Irdischen wieder. Mit anderen Worten: Ein Tempel ist ein irdischer Ort, an dem die Verbindung von Himmel und Erde erhalten und gestärkt werden kann.“(AH) Aber warum hat Rudolf Steiner diesen Tempel dann nicht wie in den Mysteriendramen mit Altären (usw.) im Rahmen dieser Stunde vergegenständlicht“?

(CG) Weil er behutsam vorgeht. Er bereitet erst bewusstseinsmässig vor, was dann wohl auch „Gegenständlich“ gekommen wäre. (siehe das Zitat von Polzer-Hoditz oben).

Ich finde in den Klassenstunden verschiedene okkulte Momente. Da gibt es das Einleben in Geistesräume – wie etwa in der 11. Stunde – dann gibt es aber auch äussere Handlungen, die das individuelle, innere Erleben verstärken sollen – etwa die Dreiecke in der 7. Stunde – und Handlungen, die die Gemeinschaft gemeinsam wahrnimmt, wie die Abschlüsse in den Septemberstunden. Die letzteren erlebe ich als Perspektive, wie die Arbeit wohl weitergegangen wäre.

Kurz: Indem die spirituelle Arbeit auch „gegenständlich“ wird, kann sie das individuelle spirituelle Leben verdichten, gemeinschaftsbildend wirken und die Erde in ihrem Gewordensein annehmen und sie in ihren ursprünglichen Zusammenhang – jetzt aber durch spiritualisierte, menschliche Initiative – wieder einbetten.

(AH) Also nach einer spirituellen „Grundausbildung“ (erkenntnismässiger Aufstieg der Individualität zu den Hierarchien) (1. Klasse) erwartest Du „gegenständliche“ Formen, die der Gemeinschaftsbildung dienen (2. Klasse) und schliesslich eine Geist-Erde Kultur in einem Kultus (3. Klasse).

Aber nachdem, was Du geschildert hast, habt Ihr diese „Gegenständlichkeit“ schon für die spirituelle Grundausbildung. Offenbar fand Rudolf Steiner das nicht mehr angemessen. Müsstet Ihr da nicht Eurerseits überprüfen, ob die Klassenstunden da das Zeitgemässere wäre? Das wäre doch ein wichtiges Forschungsprojekt: Diese Metamorphose von gegenständlich (verbundene Augen, Kerze etc.) zu ungegenständlich (19 Stunden) zu kultischer Gegenständlichkeit zu untersuchen, zu beschreiben und daraus Gesichtspunkte für die nicht verwirklichten Teile der Hochschule zu entwickeln.

(CG) Die Mysterienkunst arbeitet bis in den Stoff, verbindet den Geist mit dem Stoff. Zum Michael-Dienst kommen entsprechend nur die Menschen, die in die bis in den Stoff erlebende Erkenntnis gehen wollen. Die Klassenstunden kommen denen entgegen, die zunächst über die reine Meditation gehen wollen.

(CG) Lass mich zur Verdeutlichung noch ein Beispiel anführen: Die Türwache oder Hüter der Schwelle:

Im Michael-Dienst nimmt er Zeichen, Griff und Wort an der Tür entgegen, so dass alle, die eintreten, im selben Namen versammelt sind, mit derselben Gebärde. Es gibt also keine Zuhörer oder Zuschauer. Da findet sich auch in der Hochschule der erste Ansatz zum Kultischen, weil es auch dort einen physischen Hüter gibt, der an der Tür die Blaue Karte sich zeigen lässt, damit klar ist, dass man als Michaelschüler eintritt und nicht eigenwillig, sondern durch Anerkennung der Leitung. Es entsteht ein physisches Miteinander, dass gleichzeitig hierarchisch geordnet ist.

Ich sehe die physische Form, die zwar aus dem Geistigen geronnen ist, wiederum als die Voraussetzung, welche Geistigkeit zum Eintritt zugelassen wird. Also wenn wir uns beispielsweise frontal setzen, werden wir wohl kaum eine Verbindung im Sinne einer Artus-Runde bilden. Deshalb erlebe ich hier intensiv unsere Herausforderung und Verantwortung für die Form!

Das Zentrale in den maurerischen Riten ist die Tempellegende, die Christian Rosenkreutz in die Bruderschaften in Mitteleuropa eingeführt hat. Dort finde ich genau diese Verantwortung für die Form als zentrales Thema.

Rudolf Steiner hat mit den designierten Vorstandmitgliedern am Abend (24.12.23) unmittelbar vor dem Beginn der Weihnachtstagung eine kultische Besinnung auf diese Tempellegende durchgeführt und beginnt dann die Weihnachtstagung selbst, nachdem die Tür verschlossen wurde – wie erwähnt, mit den drei mal drei Hammerschlägen. Sie gibt auch einen roten Faden für die Mantren der 1. Klasse für die Dreiheit, die sich wie ein Gewebe durch sie hindurch zieht.

Zukünftiges Verhältnis von Michael-Dienst und Klassenstunden

Dann starb Rudolf Steiner: Der Hochschule fehlen nun 8 Abteilungen (im obigen Sinne) und dem Michael-Dienst fehlte der Anschluss. Er wurde in Hamburg – wie ich schon erwähnte – kontinuierlich weiter geführt. Während der Kriege natürlich nicht in voller Ausgestaltung und auch nur im allerkleinsten Kreise.

Vielleicht kommt ja irgendwann der Moment, wo genügend Fähige in der Hochschule inkarniert sind, die den Mut haben, an der von Rudolf Steiner begonnenen Metamorphose weiter zu arbeiten. Der Michael-Dienst würde dann ganz in der Hochschule auf­gehen. Vielleicht kann er zu einer Partitur werden, wie dieser Ausbau ausgeführt werden kann.

(AH) Wenn ich recht verstehe, dann ist der Michael-Dienst ein Vorläufer der drei Klassen der Hochschule. In der 1. Klasse ist nur der erste von drei Teilen[15] verwirklicht. Wenn wir also nachvollziehen lernen, wie Rudolf Steiner diese Metamorphose durchgeführt hat, dann könnten die im Michael-Dienst ausgeführten Rituale und Grade eine Art Orientierung werden, wie die weiteren Stufen der Hochschule metamorphosiert werden könnten?

(CG) Ich sehe einen wichtigen Aspekt in der Weiterentwicklung der Hochschule in der Frage des Egoismus. Es ist ja eine Dynamik, dass ich nicht immer mehr Licht mir erarbeiten kann durch Meditationen, Übungen, etc. ohne dass ich die durch das Leben mir entspre­chende Aufgaben zugewiesenen Aufgaben auch ergreife. Weißt Du, wie wenn man eine Glühbirne mangels Strom nur mit 20 Watt leuchtet und dann diese den hindernden Widerstand kurzschließen kann und nun mit 100 Watt strahlt: Da geht dann die Arbeit doch erst richtig los.

(AH) Du meinst – wenn ich Dich richtig verstehe: Ein „100W Repräsentant“ <smile> hat mehr Verantwortung als ein „20W Repräsentant“? Also anders formuliert, je heller jemand leuchtet, desto mehr ist er als Repräsentant in seinen Verantwortungsbereich eingebunden und umgekehrt: Es hängt seine Helligkeitszunahme von seiner Bereitschaft ab, sich wirklich in diese Verantwortung zu stellen.

Nun hat sich in der oben erwähnten Winterarbeit für mich deutlich gezeigt, dass die Zeit der Heroen abgelaufen ist, dass also eine Weiterentwicklung der Hochschule wohl eher durch Gemeinschaften sich entfalten wird.

Die Struktur der 3 Klassen scheint aber nicht für ein Geflecht von verschiedenen Gemeinschaften zu sprechen sondern für eine vom Goetheanum anerkannte Richtung.

Allerdings kann ich Rudolf Steiners vorzeitigen Tod auch als Eingriff lesen: Die Zukunft der Michael-Schule wird nicht mehr gestiftet, sondern muss in Gemeinschaft erarbeitet (und zivilisatorisch wirksam) werden.

Deshalb nochmals meine Frage: Wo siehst Du in diesem Rahmen die Aufgabe des Michael-Dienstes?

(CG) Ich sehe es so. Die Zukunft wird wohl nicht von einem Guru oder Eingeweihten vorgegeben werden können. Sie muss ja aus dem Umkreis-Ich kommen. Also kann sie wohl nur aus einer Gemeinschaftsarbeit entstehen. Im Michael-Dienst finden sich Menschen, denen die Entwicklung von kultischen Fähigkeiten ein Herzensanliegen ist. Wir würden unsere Erfahrungen gern mit denen Teilen, die über eine Weiterentwicklung der Hochschule im oben beschriebenen Sinne nachdenken und forschen.

Ich bemühe mich, dass die bisherige Arbeit nun immer mehr innerhalb der Hochschule (mit Hochschulmitgliedschaft) stattfindet und sehe, dass durch solche Zusammenarbeit sich auch in unserer Arbeit einiges ändern kann.

Fazit

Siehst Du also den Michael-Dienst ganz innerhalb der Esoterik der Klassenstunden: Nicht, dass jeder diesem Dienst beitreten müsste, sondern ähnlich wie der Esoterische Jungendkreis – eine Gemeinschaft mit Spezialaufgabe innerhalb der Hochschule?

(CG) Ja, natürlich ist er nicht für jeden gedacht und geeignet. Ich sehe ihn jedoch als einen wichtigen Schlüssel, wenn man die Hochschule in mysterienkultischer Weise im Sinne Rudolf Steiners entwickeln möchte. Da ich die Hochschule als Metamorphose des Michael-Dienstes erlebe, sehe ich ihn als mit der Esoterik der Klassenstunden auf’s Engste verwandt. In meinem gerade neu herausgekommenen Buch[16]: ‚Michael-Dienst’ beleuchte ich Deine Fragen recht ausführlich und habe auch viele Dokumente zusammengestellt.


[1]     GA 260, S. 50f

[2]     Thomas Meyer: Ludwig-Polzer-Hoditz – Ein Europäer, Basel 1994,S. 562f

[3]     Siehe https://anthrowiki.at/Freie_Hochschule_für_Geisteswissenschaft

[4]     Th. Meyer: a.a.O. S.534

[5]     a.a.O. S.535

[6]     Rudolf Steiner: Mein Lebensgang 36. Kap.

[7]     Th. Maier, a.a.O.; S. 665

[8]     a.a.O.; S. 227

[9]     Jules Sauerwein, Rudolf Steiner, „A Glimpse of the Beyond“ [Excerpts from: Anthroposophy No. 4, Christmas 1929,  Vol. 4, London, edited by D. N. Dunlop. p. 413 – 419] Die deutsche Version hat diesen Passus nicht. Die französische Fassung ist wiederabgedruckt in Irene Diet, „Jules und Alice Sauerwein und der Kampf um die Anthroposophie in Frankreich“, Zeist 1998, S. 417 – 422

[10]   Vortrag 17.7.1912

[11]   GA 93, 2. Aufl., S. 240 und dazu ‚Vincenzo Soro, ‚La Chiesa del Paracleto‘, Todi 1922, S. 334

[12]   GA 260, 5. Aufl., S. 50f

[13]   Am Ende der 19. Klassenstunde

[14]   GA 260, 5. Aufl., S. 303)

[15]   Siehe Schluss der 19. Klassenstunde

[16]   Christiane Gerges: Michael-Dienst – Seine Beziehung zur Freimaurerei und zur Freien Hochschule für Geisteswissenschaft. Books on Demand, Norderstedt; ISBN 9783757860356

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