Das dritte Auge und die Orientierung im übersinnlichen Wahrnehmen

Das dritte Auge und die Orientierung im übersinnlichen Wahrnehmen

Man kann bei Neugeborenen und Kleinkindern oben auf dem Scheitel die Fontanelle deutlich pochen spüren. Mit der Zeit wächst diese Öffnung zu. Von ihr sagt Rudolf Steiner:

„Das ist die Öffnung, die der Mensch dort in Urzeiten hatte. Dort ging, etwa in der Mitte der Menschheitsentwicklung, eine Art Wärmeorgan heraus, eine Flammenstrahlung, wie Saugarme, wie eine ätherische Laterne – das Zyklopen Auge. Es war aber kein Auge, sondern ein Wärmeorgan. Der Mensch brauchte dieses Organ, um sich zu orientieren. (…)“

GA 98. 17 März 1908 (1983) S 213

In vielen völkischen Sagen und Mythen, aber vor allem in Homers «Odyssee» wird geschildert wie die gefangenen Griechen dem Zyklopen Polyphem dieses Auge durch einen glühenden Pfahl ausbrennen. Dieses «Einauge» strömte in Urzeiten unmittelbar zum Herzen. Einen Nachklang findet man bei den Beschreibungen des Scheitelchakras, dem gerade wegen der Kraftlinien, die zum Herzen und von dort in die Glieder strömen, eine enge Beziehung zu dem Stirnchakra nachgesagt wird. Rudolf Steiner erwähnt das Scheitelchakra, so viel ich weiss, nicht, weil diese „Verschmelzung“ mit dem Stirnchakra in der Weiterentwicklung der Menschheit von dem leibfreien Denken abgelöst wird.

Das leibfreie Denken

Das leibfreie Denken wurde vielfach diskutiert. Greift man auf das dritte Kapitel der „Philosophie der Freiheit“ zurück, so werden dort genau definierte Schritte zur Wandlung des Denkens beschrieben. Nur kurz zusammengefasst:

  • Es geht in einem ersten Schritt darum, sich einen, von einem selbst gedachten Gedanken in die Meditation herein zu holen. Es ist wichtig, dass ich mein Meditationsobjekt selber gedacht habe, weil es mich in die Lage versetzt seinen Quellgrund zu erforschen, denn ich war dabei, wie es entstand
  • Die Übung besteht darin, dass ich die Kraft der Konzentration aufbringen lernen muss, um mein Meditationsobjekt in der Anschauung zu halten. Ich entwickle in diesem zweiten Schritt ein anschauendes Denken. D.h. aus meinem gewohnten Denken schält sich etwas heraus, als Folge meiner beständigen Bemühung, das sich einem inneren Objekt anschauend zuzuwenden vermag.
    Mit diesem Schritt führe ich einen frei gewordenen Teil meines Willens in mein Denken hinein1
  • Der dritte Schritt geht von dem anschauenden Denken aus und wendet sich dem Quellgrund meines Meditationsobjekts zu. Ich übe mich darin, den Ursprung meines zum Meditationsobjekt gemachten gedachten Gedankens zu entdecken und finde zweierlei Quellgründe:
    • Einmal ist der gedachte Gedanke meiner Selbstbezogenheit entsprungen, d.h. er folgte z.B. einem Wunsch oder einer Sinnesanregung,
    • oder er entsprang einer Intuition: „Intuition ist das im rein Geistigen verlaufende, bewußte Erleben eines rein geistigen Inhaltes,“2 und damit ein Ausgangspunkt für die übersinnliche Wahrnehmung.

Jetzt vermag sich das Denken frei zu bewegen und jedem Meditationsobjekt zuzuwenden. Die Denk-Aufmerksamkeit ist zur gleichen Zeit wie das innere Anschauen dabei, mitten im Geschehen während es geschieht. Dieses bildet das Instrument der seelischen Beobachtung, das Instrument der Selbsterkenntnis. Nimmt man die jetzt auftretende Herausforderung an, so betritt man erlebend die Astralwelt und deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, dass man den letzten Satz der „Philosophie der Freiheit“ beherzigt:

„Man muß sich der Idee erlebend gegenüberstellen können; sonst gerät man unter ihre Knechtschaft.“

Philosophie der Freiheit, letzter Satz

So entsteht das Organ zur Orientierung in der Astralwelt, die sich dadurch charakterisiert, dass man sich ihr ausgesetzt erlebt, wenn man ihr nicht mit innerer Aktivität entgegentritt.

Das dritte Auge, das Stirnchakra

Bevor wir weiter gehen, möchte ich betonen, dass in der Astralsphäre, in die wir uns so begeben, das Stirnchakra eines der wichtigsten, seelischen Wahrnehmungsorgane ist. Es entsteht, wenn die Bewusstseinsseele zur Imaginationsseele3 gewandelt wird.

[Es erwacht] „eine höhere Macht des astralischen Leibes, (…) wenn er sich fähig macht, ohne dass erst ein Widerstand da ist, durch eine eigene, innere Kraft seine astralische Substanz herauszustoßen. (…) Wenn Sie nun in der Lage sind, ohne dass eine äußere Veranlassung da ist, Ihre astralischen Fangarme herauszustrecken, so tritt das ein, was man im höheren Sinne das geistige Wahrnehmen nennen kann. (…) wo er [der astralische Leib] an einer gewissen Stelle des Vorderhirns – zwischen den Augenbrauen – seine astralische Substanz hinausschieben kann wie zwei Fangarme, da bildet er an dieser Stelle das, was man die zweiblättrige Lotusblume nennt, das erste geistige Organ, was man auch nennen kann den imaginativen Sinn.“

GA 115. Vortrag 26. Okt. 1909 (1965) S 53f

Diese ‚astralischen Fangarme‘ sind ein Bild für den ausströmenden Willen. Dieser wird dann berührt von einer Willensäußerung eines im Astralischen lebenden Wesens. Die wiederholte ‚Ich-Tätigkeit‘ in diesem Sinne führt zu einer Vertiefung der Erkenntnis, zu einem volleren Begreifen, indem die Ich-Tätigkeit sich in diese Begegnung einlebt.

Mit der Entwicklung des abtastenden Stirnchakra gewinnt man auch die Fähigkeit, meditativ das Wahre von der Erscheinung zu unterscheiden4, was für den modernen Menschen von großer Bedeutung ist. Mit ihr vermag er zu unterscheiden, wes Geistes Kind die Inspirationen sind, die ihm entgegenkommen.

Fasst man die Entwicklung dieses oberen Bereiches des Hauptes zusammen, dann führt zunächst die logische Schulung zu einem bewussten Dasein, ausgestattet mit gesunder Urteilskraft und bewirkt durch meditative Vertiefung eine ‚Geburt‘ in der geistigen Welt, ohne dass dabei ein gesundes Leben und Denken in der physischen Welt beeinträchtigt wird.

So bildet sich, wenn die Bewusstseinsseele zur Imaginationsseele gewandelt wird, im lichteren astralischen Leib, unbeeinflusst von den Einflüssen des leiblichen Inkarniertseins, aus der „ätherischen Laterne eine Art Leuchtturm“, eine Instanz von der aus das „Ich“ Licht in den Umkreis hineinstrahlt, um seine astrale Umgebung zu beleuchten und einlebend zu begreifen.

Das Trainieren

Der geheimnisvolle Zugang zu dieser Pforte ist von der Arbeit an der Entfaltung des frei werdenden Willens abhängig. Schon allein das Konzentrieren auf einen innerlich erlebten Inhalt, wie es für die Meditation notwendig ist, braucht ein «Trainieren», denn man braucht die innere zuwendende Kraft, um nicht immer wie durch ein unsichtbares Gummiband zurückzuschnellen in in sein altes gewohntes, irrlichterierendes Denken. Das Hereinholen des Fokussieren-Könnens auf etwas übersinnlich Wahrgenommenes, braucht aber zweierlei:

  • Die einlebende Zuwendung
  • Das Entwickeln der Fähigkeit den Meditationsinhalt ’sprechen‘ zu lassen.

Dieses ‚Kunststück‘ muss man sich erarbeiten. Dann wird das sog. dritte Auge in Tätigkeit gesetzt, wodurch es zum seelischen Wahrnehmungsorgan wird, das in der Astralwelt erwacht. Der Träger der Denktätigkeit in diesem übersinnlichen Bereich ist der Ätherleib des Menschen. Das wird gewissermassen schon beim normalen Denken vorweggenommen:

„(…) wenn der Mensch denkt, spürt er nicht, wie er durch das Denken in Berührung kommt mit den umliegenden Gegenständen. (…) In dem Augenblicke, wo man anfängt, dadurch, daß man solche Übungen macht, ein seelisches Auge, ein geistiges Ohr zu erhalten, in demselben Augenblick fängt man an, dieses erste Glied des Menschen, den Ätherleib, wirklich zu sehen. In diesem Augenblicke weiß man, daß das Denken, das vorzugsweise ausgeführt wird von diesem ätherischen Leibe, ein Begreifen ist, ein Befühlen, aber ein geistiges Begreifen, ein geistiges Befühlen der Dinge.“

GA 309. Vortrag 14. April 1924 (1981) S.30

Das Einleben, das Herausführen des ätherischen Befühlens dessen, was einem in der Astralwelt entgegenkommt, lässt einen eine völlige «Anderswelt» erleben. Diese ’spricht‘ ihre Sprache, aber was ich erlebe. ist nicht begrifflicher Art und deshalb nicht einfach mitteilbar. Wollte ich meine Erlebnisse mitteilen, muss ich sie in Bildern oder in beschreibende Worte einkleiden. Diese Einkleidung ist wie das Einbringen einer Ernte. Erst dadurch kann ich mir die übersinnlichen Erlebnisse, die sich sonst sofort wieder verflüchtigen, zu eigen machen. Das ist Teil des Erlebnisses: Man wendet sich einlebend zu und kommt zu Erlebnissen, aber um sie halten zu können, muss man sie einkleiden. In der Einkleidung verwendet jeder sein eigenes Material, um sich auszudrücken, sowie jeder Künstler seine eigene ihm typische Ausdrucksweise erfindet.

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  1. „Indem das Denken hellsichtig wird, sich absondert von Gehirn und Nervensystem, beginnt es, innere Regsamkeit, Eigenleben zu entwickeln und strömt als eigenes Erleben in die übrige geistige Welt hinaus. Die Fühlhörner des Denkens – ich muß es etwas grob ausdrücken – , des hellsichtig gewordenen Denkens, strecken wir hinaus in die geistige Welt, und sie nehmen im Untertauchen wahr das fühlende Wollen, das wollende Fühlen der anderen Wesen, die um uns sind auf dem geistigen Felde.“ GA 154: 26 Mai 1914.(1985) S.119 ↩︎
  2. Philosophie der Freiheit GA 4 (1996) S 146 ↩︎
  3. „Beim okkult sich entwickelnden Menschen verwandelt sich die Bewußtseinsseele in die Imaginationsseele.“ Ga 145: 29.3.1913  (1957) S 179. Diese Imaginationsseele wird u.a. in der «Theosophie» (GA 9) als Geistselbst beschrieben.  ↩︎
  4. Ga 10. (1995) S.102. ↩︎

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