Im Urbeginne war das Wort – Gedanken zur Annäherung von Astronomie und Anthroposophie

Einleitung

„Sieh‘ des Äther-Farbenbogens lichtgewalt’ges Rund“ (17. Std.) mahnt uns Menschen, uns zu öffnen für das Rund der zuweilen besonders eindrucksvollen Farben des Regenbogen. Das physikalische Interesse an der Entstehung dieser Farben führte zur Entdeckung der Spektralanalyse – ein von Rudolf Steiner als entscheidend angesehener Wendepunkt in der Menschheitsentwicklung.

Joseph von Fraunhofer (1787-1826) gehörte Anfang des 19. Jahrhunderts zu den Wegbereitern der Spektralanalyse als selbstständiger physikalischer Disziplin. Mit Hilfe von sogenannten Beugungsgittern entdeckte er die später nach ihm benannten Absorptionslinien im Sonnenspektrum. Die Physik zieht daraus Schlüsse über die Zusammensetzung der Sonnenatmosphäre.

Wenige Jahrzehnte später untersuchten Gustav Kirchhoff und Robert Bunsen an der Universität Heidelberg die Linienspektren von Licht emittierender irdischer Materie. Sie entwickelten um 1859 die Methode der Spektralanalyse. Mit ihr wird aus den Spektren erhitzter Stoffe auf deren Vorhandensein nicht nur auf der Erde, sondern auch im Weltenraum geschlossen. Über Linienverschiebungen werden Aussagen zu Radialgeschwindigkeiten und Entfernungen getroffen. So gut wie alle heutigen Aussagen zur Kosmologie beruhen letzten Endes auf der Entdeckung der Spektralanalyse. Mit deren Hilfe wird nicht nur das kosmische sichtbare Licht, sondern jegliche kosmische Strahlung so genau wie möglich untersucht.

Warum ist gerade die Spektralanalyse ein besonderer Wendepunkt? Rudolf Steiner weist in dem Dokument von Barr |GA 262 (2002), S.23| darauf hin, dass das Rosenkreuzertum die Vorbereitung bildete für das,

„was der Esoterik öffentlich als Aufgabe zufallen müsse um die Wende des 19. und 20. Jahrhunderts, wenn die äußere Naturwissenschaft zur vorläufigen Lösung gewisser Probleme gekommen sein werde. Als diese Probleme bezeichnete Christian Rosenkreutz unter anderem: ‚Die Entdeckung der Spektralanalyse, wodurch die materielle Konstitution des Kosmos an den Tag kam.‘

Dokument von Barr |GA 262 (2002), S.23|

Tatsächlich wird die Entsprechung irdischer und kosmischer Spektren als „Beweis für die stoffliche Einheitlichkeit der Welt“ |Wussling, S. 178| angesehen.

Für den Astrophysiker ist zur Bestimmung von räumlichen (Entfernungen) und zeitlichen (Sternentwicklung) Beziehungen entscheidend, dass sich verschiedene Meßmethoden gegenseitig stützen – wie etwa geometrische, spektroskopische, thermodynamische und elektrodynamische Methoden. Entstehen dabei mehr oder weniger spektakuläre Widersprüche, so werden die Hypothesen im Sinne einer Stabilisierung der Modelle angepasst. Eine derartige Hypothesenanpassung zeichnet sich gegenwärtig im Bereich der Kosmologie ab. Die vorliegenden Gedanken wollen dazu beitragen, wie sich in diesem Zusammenhang Astrophysik und Anthroposophie näher kommen können.

1. James-Webb-Weltraumteleskop erforscht Infrarotstrahlung

Am Weihnachtstag 2021 wurde nach dreißigjähriger Vorarbeit das bisher größte Weltraumteleskop mit einer Ariane-5-Rakete auf seine Position geschickt. Eine Position, die auf der sonnenabgewandten Seite der Erde Ende Januar 2022 erreicht wurde – in eineinhalb Millionen Kilometern Entfernung (auf einer Umlaufbahn um den sogenannten zweiten Lagrange-Punkt). In dieser Position stehen die Zentrifugal- und Gravitationskräfte wie im Gleichgewicht. Dort, in vierfacher Mondentfernung, wurden 18 bienenwabenartig angeordnete sechseckige Segmente zu einem 6,5 m großen Primärspiegel ausgeklappt. Die elektromagnetischen Signale sind von dort bis zur Erde fünf Sekunden unterwegs. Es handelt sich um „das größte, teuerste und komplexeste Gerät der unbemannten Raumfahrtgeschichte“ |Grolle, S. 96|. Was dürfen wir davon erwarten?

Ein vorrangiges Ziel des Zehnmilliardenprojekts ist es, mit den heutigen physikalischen Mitteln und Methoden dem Geheimnis der Schöpfung näher zu kommen. Geschätzt 20.000 Ingenieure, Planer und Forschende sind daran beteiligt. Dabei werden die Nutzungszeiten des Teleskops nach strengen Kriterien stundenweise vergeben. Bei einer voraussichtlich möglichen Nutzungsdauer von zwanzig Jahren geht es hier immerhin um Nutzungskosten, die sich auf ein bis zwei Millionen Euro pro Tag (10 Mrd. : 20 J. : 365; das Instrument funkt 8 h/Tag) belaufen.

Das nach dem früheren Nasa-Chef James Webb (1906-1992) benannte Weltraumteleskop soll „im All nach dem Licht der ersten Sterne und Galaxien nach dem Urknall suchen“ |ardalpha|. Wobei das Wort „Licht“ nur eingeschränkt gültig ist, da das Teleskop hauptsächlich Daten im (für unsere Augen nicht sichtbaren) Infrarotspektrum („Wärmestrahlung“) sammelt – ungestört durch die Erdatmosphäre. Aus den Spektrallinien, die bei entsprechenden Temperaturen ausgesandt werden, schließt man auf bestimmte Elemente und weitere Eigenschaften. Auch beim in der 17. Klassenstunde zentralen Regenbogen handelt es sich um ein Spektrum, das beim Sonnenlicht zwar kontinuierlich ist, aber die erwähnen dunklen Fraunhoferschen Absorptionslinien aufweist.

Mit Hilfe von Computern werden nun aus den Spektren – natürlich auch um Aufmerksamkeit zu erzeugen – wie bei der Übersetzung einer Sprache in eine andere möglichst spektakuläre ansprechende Bilder erstellt – eine gängige Praxis in der Astronomie.

Warum ist gerade die Infrarotstrahlung so interessant? Die Astrophysiker gehen von einem expandierenden Kosmos aus, bei dem sich nach dem sogenannten „Ur-Knall“ die früh entstandenen Himmelskörper – und damit deren Licht – immer weiter entfernen. Die dabei auftretenden großen Geschwindigkeiten bewirken eine Vergrößerung der dem Licht zugeordneten Wellenlängen (wie ein Doppler-Effekt, aber nicht für Schallwellen, sondern für Lichtstrahlen). Sie sprechen von der 1925 entdeckten „Rotverschiebung“ des Spektrums (die Einstein 1911 vorausgesagt hatte). Daher das große Interesse an Infrarotstrahlung. Die Rotverschiebungen sind Grundlage der Entfernungsbestimmung in diesen Bereichen. Raum und Zeit verschmelzen zu einer Einheit, da sich damit gleichzeitig ein Blick in jüngere bis in fernste Vergangenheiten eröffnet – von hunderten bis zu Milliarden von Lichtjahren.

Der Nasa-Technologe Matthew Kenyon bedauert in einem „Goetheanum“-Beitrag:

„Leider wird diesen spekulativen Berechnungen Glaubwürdigkeit geschenkt, …“

|Kenyon, S. 11|

Dabei sei darauf hingewiesen: Nicht die Berechnungen können „spekulativ“ sein, sondern allenfalls die darauf aufbauenden Hypothesen – soweit sie über die Beschreibung der Phänomene hinausgehen.

Doch Hypothesen schließen schon vom Begriff her ein, dass sie auch ungültig sein können. Leider wird das in anthroposophischen Publikationen nicht immer genügend deutlich. Durch eine generelle Ablehnung von Hypothesen verschließt man sich eher die für eine Verständigung so wichtige Offenheit zwischen Naturwissenschaft und Anthroposophie. Da darf man sich nicht wundern, wenn auch von Seiten der Naturwissenschaft manch ein geisteswissenschaftliches Ergebnis ebenfalls als „spekulativ“ abgewertet wird – und sich die Kluft zu vergrößern droht.

Die Astrophysik geht zudem davon aus, dass sich mit den Infrarotaufnahmen die verschiedensten Stufen der Vergangenheit gleichzeitig beobachten lassen. Das gleichzeitige Erfassen verschiedener Entwickelungszustände ist hiermit erstaunlicherweise sowohl für die sinnliche wie für die übersinnliche Forschung möglich. Rudolf Steiner bemerkt dazu:

„Man kann innerhalb des Erdengeschehens der Gegenwart das Urgeschehen schauen, wenn man nur die sich unterscheidenden aufeinanderfolgenden Entwickelungszustände auseinanderzuhalten vermag“ .

|GA 13, S. 146|

2. Astrophysikalische Modellierung der Schöpfung

Mit den Messergebnissen erstellt man physikalisch möglichst schlüssig nachvollziehbare und mit den Beobachtungen übereinstimmende Modelle von Sternentwicklungen. Nützlich sind hierfür Allgemeine Relativitätstheorie, theoretische Thermodynamik sowie Quantenphysik.

Bei den fernen beobachtbaren Himmelskörpern handelt es sich in der Regel um Galaxien, die aus vielen Millionen von Einzelsternen bestehen. So kann ein einziges Bild ein Panorama der gesamten Galaxienevolution zeigen. Der derzeit ältesten und am weitesten entfernten Galaxie, der „Urgalaxie“ mit der Bezeichnung „JADES-GS-z13-0“, wird aufgrund der extremen Rotverschiebung ein Alter von rund 13,5 Mrd. Jahren zugeordnet. Sie habe damit rund 300 Mio. Jahre (also nur 0,3 Mrd. Jahre) nach dem „Ur-Knall“ zu leuchten begonnen. Medienwirksam heißt es: Das Teleskop kann

„im Wesentlichen bis in die Zeit vor etwa 13,5 Milliarden Jahren zurückblicken“ .

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Die bisherigen Ergebnisse des Projektes werden einhellig als spektakulär eingestuft. So berichtet der „Spiegel“ unter der Überschrift „Das Geheimnis der Schöpfung“ am 23.12.2022 |Grolle| vom Einfall „in die Schöpferwerkstatt des Herrgotts“, von einem Vordringen „bis fast an jenen Ort, an dem das Universum, wie wir es kennen, entstanden ist“, von „Fotos, auf denen zu sehen ist, wie es am ersten Tag der Schöpfungsgeschichte zugegangen ist“ und deren Pracht „alle Erwartungen“ übertreffen würden.“ Die NASA jubelt: „Die Qualität der Bilddaten sei besser als die optimistischsten Hoffnungen“ |ardalpha|.

Wenn sich auch die „Kindheit“ des Universums mit dem neuen Teleskop physikalisch deutlicher erschließen lässt, so muss doch zugestanden werden: Die Ursachen des Ur-Knalls „bleiben rätselhaft, der Ablauf aber ist genau bekannt“ – sogar schon ab „der ersten Milliardstelsekunde“ |Grolle, S. 97|.

Bei all diesen physikalischen Modellen und Simulationen ist festzuhalten, dass sie auf den in unserer irdischen Zivilisation gültigen und bisher entdeckten physikalischen Gesetzen beruhen. Worauf sollten wir Naturwissenschaftler auch sonst aufbauen?

Tatsächlich scheinen sich mit dem neuen Teleskop Beobachtungsergebnisse zu zeigen, die die Modifizierung bisheriger Theorien zur Sternentwicklung erforderlich machen. Eventuell müssen sogar physikalische „Gesetze“, die letzten Endes nur „Postulate“ sein können, angepasst werden.

3. Empirie in Physik und Mathematik

Selbstverständlich sind die Theorien und Modellbildungen spekulativ hypothetisch, solang sie nicht empirisch bestätigt werden. Das liegt im Wesen der physikalischen Forschung und wurde bereits von Johannes Kepler (1571-1630) in seiner Abhandlung „Quid sit Hypothesis Astronomica“ als noch heute gültige Grundlage der astronomischen und physikalischen Wissenschaften beschrieben |Kepler, S. 468f|.

Die Physik ist empirisch begründet und damit von der Empirie abhängig – im Gegensatz zur Mathematik, die sich, beginnend mit der Geometrie, 1899 dezidiert von der Empirie gelöst hat und damit tatsächliche Weltgesetzlichkeit besitzt. Bahnbrechend war dafür das Werk „Grundlagen der Geometrie“ von David Hilbert |Hilbert|. Den Werdegang und die Denkprozesse Hilberts ließen sich durch einen sehr persönlichen Blick in seine Werkstatt rekonstruieren |Toepell 1986|.

Die darauf beruhende Axiomatisierung hat es ermöglich, dass sich die Mathematik im reinen Denken bewegt. „Denn das reine Denken ist selbst schon eine übersinnliche Betätigung“ |GA 13, S. 144|. Damit ist reine Mathematik „als die gediegenste erste Stufe aller geisteswissenschaftlichen Schulung“ |Rudolf Steiner a.a.O.| nicht mehr Empirie, sondern Teil der Geisteswissenschaft. Sobald sie jedoch auf die Sinneswelt angewandt wird, muss man allerdings ihre Gültigkeit sorgfältig prüfen |GA 323 (1997), S. 91f|.

Im Hinblick auf die Gesetze der Thermodynamik sei auf eine etwas rätselhafte Bemerkung Rudolf Steiners im „Astronomischen Kurs“ aufmerksam gemacht:

„Bei der Wärme haben wir nötig, Positives und Negatives wechseln zu lassen, und dadurch wird erst durchsichtig dasjenige, was wir gewöhnlich betrachten als leitende Wärme, strahlende Wärme und so weiter“

|GA 323, S. 161|

Es geht hier nicht um Wärme (positiv) und Kälte (negativ), sondern um einen Materiewärmezustand gegenüber einem Ätherwärmezustand, der in dem Zusammenhang näher beschrieben wird. Lässt sich hier ein Brücke zu astrophysikalischen Ergebnissen herstellen?

4. Teleskop stellt die Kosmologie auf den Kopf

Ein weiteres unerwartetes Ergebnis ist das folgende:

„Das James Webb-Teleskop stellt die Kosmologie auf den Kopf: Massereiche Galaxien im frühen Universum lassen sich mit gängigen Modellen nicht erklären“.

„Die Galaxien sind nach Angaben der Forschungsgruppe so massereich, dass sie mit 99 Prozent aller kosmologischen Modelle nicht übereinstimmen. Um die große Masse zu erklären, müsste man entweder die kosmologischen Modelle umschreiben oder das wissenschaftliche Verständnis über die Entstehung von Galaxien im frühen Universum revidieren“.

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Man hatte erwartet, wie dort der AssProf. John Leja zitiert wird,

„zu diesem Zeitpunkt nur winzige, junge Baby-Galaxien zu finden. … Es stellte sich heraus, dass wir etwas so Unerwartetes gefunden haben, dass es tatsächlich ein Problem für die Wissenschaft darstellt.“

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Bereits nach rund 350 Mio. Jahren (das sind nur 3 % des angenommenen Weltalters) gab es demnach Galaxien von der Größe unserer Milchstraße. Wolfgang Held schließt daraus:

„Im Anfang ist schon etwas von der Gegenwart enthalten. … Die Wahrscheinlichkeit, dass auf einem Planeten menschliches Leben entstehen konnte, ist so gering, dass das schon am Anfang als Ziel existiert haben muss.“

|Held, S. 5|

Und weiter John Leja:

„Dies ist unser erster Blick so weit zurück, daher ist es wichtig, dass wir offen bleiben für das, was wir sehen“.

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Zeigt sich hierin eine erstaunliche Offenheit, die zu einer Annäherung von naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Kosmologie führen könnte?

„Am Anfang ging offenbar alles schneller, als es die Theorie besagt. Es scheint, als hätte es einen geheimen Motor gegeben, der die Entwicklung des Universums vorangetrieben hat.“

|Grolle, S. 96|

5. Verlangsamung von Zeitabläufen?

Dieser „geheime Motor“ wäre ein Hinweis darauf, den physikalischen Begriff von Zeit und damit die riesigen Zeiträume, mit denen die Astrophysik und Geologie rechnet, genauer zu überprüfen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch das, was wir Zeit nennen, einer Entwicklung, einer Veränderung, einem Wandel unterworfen sein kann. Eine Veränderung, die wir möglicherweise prinzipiell nicht messen können, da auch unsere Messinstrumente selbst dieser Veränderung unterliegen und man mit ihnen nicht aus einem absolut ruhenden System heraus (d.h. aus einem außerhalb liegenden Inertialsystem; denn bewegte Systeme verändern die Zeit) messen kann.

Wäre es denkbar, dass sich auch das Universum – wie ein lebender Organismus – in seiner „Jugend“ schneller entwickelt hat? Lässt sich das auch in den astrophysikalischen Grundlagen berücksichtigen? Vielleicht vergleichbar mit Massenbewegungen, die bei Annäherung an die Lichtgeschwindigkeit zur sogenannten „Zeitdilatation“ (gemäss der Relativitätstheorie) führen? Wolfgang Schad hat bei Rudolf Steiner den Eindruck:

„Die Schilderung einer in Richtung Vergangenheit zunehmenden Verlangsamung ist deutlich .

|Schad, S. 74; wobei der Bezug auf GA 106, 9.9.1908 Fragen weckt|

Blicken wir auf ein vergleichendes Bild: Wir messen bei einem Menschen unbekannten Alters beispielsweise die Körpergröße mit 179,5 cm. Nach einem Jahr messen wir ihn wieder: 180 cm. Die klare Schlussfolgerung: Wenn er in einem Jahr 0,5 cm gewachsen ist und jetzt so groß ist, dann muss er 180 : 0,5 = 360 Jahre alt sein! Dem liegt eine „lineare Extrapolation“ zugrunde. Tatsächlich ist er gerade einmal 18 Jahre alt. Man muss daher möglicherweise differenzierter extrapolieren. Rudolf Steiner wies in seinen Vorträgen wiederholt auf derartige Beispiele hin und hat an diesen Stellen das lineare Extrapolieren kritisiert.

Wie bei physiologischen Gesetzen könnte evtl. eine logarithmische Skala wirklichkeitsgetreuere Ergebnisse liefern. Und das würde unabhängig davon gelten, dass in der Geologie für die Zeiteinheit „ein Jahr“ die veränderten Verhältnisse des Erdumlaufes heute ohnehin berücksichtigt werden [Schad, S. 73].

Auch Wolfgang Schad spricht sich dafür aus „den linearen Begriff der ‚Newtonzeit‘ zu erweitern“. und hat eine logarithmische Zeitmetrik der Erdgeschichte vorgeschlagen. Er ergänzt:

„Das ist das Wachstumsprinzip des Rein-Ätherischen. So sprechen die Mathematiker nicht umsonst von den ’natürlichen Logarithmen‘.“.

|Schad S. 74|

Falls es tatsächlich so ist, dass „die Zeitangaben der heutigen Geologie ihrerseits also gerade von einem Wachstumsgesetz des rein Lebendigen sprechen“, wäre hier nicht eine Erweiterung auf kosmologische Dimensionen denkbar? Die aktuellen astrophysikalischen Entdeckungen könnten in diese Richtung weisen.

Die mit großem Aufwand erarbeitete Reihenfolge von Sternentwicklungen (bis zur Geologie) würde sich dadurch natürlich nicht zwangsläufig ändern.

Eine Methode, wie sich ganz entsprechend die Reihenfolge von Gesteinsschichten in der Geologie erarbeiten lässt, beschreibt Rudolf Steiner 1911 recht anschaulich:

„Damit wir uns auch vor die Seele führen, wie die Methoden und Forschungsarten sind, darf folgendes angedeutet werden. Wenn man zum Beispiel sieht, wie heute noch gewisse Schichten durch Flußanschwemmungen oder dergleichen im Laufe von so und so vielen Jahren abgelagert werden und man die Höhe einer solchen Schicht mißt, so daß sich ein gewisses Maß ergibt und man sagen kann: in soundsovielen Jahren hat sich eine solche Schicht abgelagert, – dann kann man berechnen, wie lange es gedauert hat, bis sich solche Schichten abgelagert hatten, wie wir sie ins Auge faßten, vorausgesetzt, daß die Verhältnisse so waren, wie sie heute sind. Da kommen dann die verschiedensten Zahlen heraus, je nach den verschiedenen Berechnungen, welche die Geologen angestellt haben“.

|GA 60, S. 320|

Man beachte: „… vorausgesetzt, daß die Verhältnisse so waren, wie sie heute sind“! Auch unter dieser Prämisse war es für Rudolf Steiner grundlegend, dass die Geisteswissenschaft in keinem Widerspruch zu den Naturwissenschaften steht, sondern sie angemessen erweitert.

6. Unzureichende Werkzeuge

Sowohl die Kosmologie als auch die Geologie erstellt auf Hypothesen gegründete Entwicklungsmodelle, die Rudolf Steiner der damaligen Zeit gemäß „Bilder“ nennt:

„Wenn wir uns das alles vorführen, haben wir doch nur ein Bild dessen, wie sich nach den Anschauungen der Geologie … die Vorgänge in unserer Erdentwickelung in den letzten Jahrbillionen abgespielt haben“.

|GA 60, S. 321|

Die Angabe „Jahrbillionen“ ist übrigens mehrfach in diesem Vortrag von 1911 zu finden.

Noch ein anderes Problemfenster scheint sich im Rahmen des neuen Teleskops zu öffnen. Allerdings ist das ein üblicher Vorgang bei unerwarteten Beobachtungsergebnissen: Es muss nachjustiert werden. Am Massachusetts Institute of Technology (MIT/USA) heißt es:

„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die derzeit verwendeten Werkzeuge zur Entschlüsselung von Lichtsignalen möglicherweise nicht ausreichen, um die Daten des Webb-Teleskops genau zu interpretieren.“

|dpa|

Und eine Forscherstimme macht deutlich:

„Derzeit ist das Modell der Präzision und Qualität der Daten, die uns vom James-Webb-Teleskop zur Verfügung stehen, nicht gewachsen.“

|dpa|

Das betrifft also nicht nur die Theorien selbst, sondern auch deren zugrunde liegende Methoden und Werkzeuge. Grenzen des Beobachtbaren werden bewusster. Daneben auch das Erfordernis, eigenes Denken beweglich und lebendig zu halten. Darf man hoffen, dass sich solch eine Haltung nicht nur im Forschungsrahmen, sondern auch bis in die Schulbücher und Populärliteratur durchsetzt?

7 „Am Anfang war das Licht“ und Ur-Ruhe anstatt Ur-Knall

Das zitierte Heft des „Spiegel“ vom 23.12.2022 trägt vor einem Galaxien-Hintergrund den Umschlagtitel: „Am Anfang war das Licht.“ Man erinnere sich an die Szene im Studierzimmer, wie Faust den Beginn des Johannesevangeliums ins Deutsche übertragen möchte:

„Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, ich muß es anders übersetzen.“

Goethe: Faust – Studierzimmer

Im Beisein des Pudels folgen auf das „Wort“ absteigend – gewissermaßen stufenweise sich vom Geiste entfernend – die Begriffe „Sinn“ – „Kraft“ – „Tat“.

„Am Anfang war das Licht“ weist – im Vergleich mit dem Johannesevangelium – zudem auf einen Anfangszustand hin, der aus Licht, materieloser reiner Energie besteht. Eine durchaus mit der Astrophysik vereinbare Vorstellung. Der Spiegel-Beitrag macht wiederholt auf den Zusammenhang mit der Schöpfung aufmerksam. Dabei wird der eigentliche Ursprung für die Naturwissenschaft weiterhin als „rätselhaft“ eingestuft. Es sieht so aus, als würden dafür die bisherigen Methoden nicht ausreichen.

Man denke daran, dass die großen wissenschaftlichen Entdeckungen nicht allein durch logisch-deduktives, sondern vor allem durch intuitives, lebendiges Denkvermögen ihren Weg in unsere Kultur der Menschheit gefunden haben und finden. Insbesondere Naturwissenschaftler greifen durchaus auf „spirituelle Praktiken und Überzeugungen zurück“ |Cross|.

Zum Begriff des „Ur-Knalls“ sei angemerkt: Wir haben es mit der Frage nach der Entstehung unseres Alls, des Kosmos zu tun. Hat Rudolf Steiner geahnt, dass gegen Ende des 20. Jahrhunderts dafür der Begriff des „Ur-Knalls“ eine allgemeine Verwendung finden würde? Geradezu als Gegenbild weist er am 9.2.1911 im Zusammenhang mit Goethes Betrachtung des Granits auf den Begriff der „Ur-Ruhe“ unseres Planeten hin: Der Granit-Steingrund der Erde, der

„älteste Sohn der Natur … flößte Goethe etwas ein, was ihm wie der Widerklang einer Ur-Ruhe unseres Planeten war, und mit Ehrfurcht betrachtete er dieses Gestein.“

|GA 60, S. 322f|

Außer der „Ur-Knall“-Theorie gibt es ernstzunehmende verschiedene alternative kosmologische Modelle, wie etwa die eines „zyklischen Universums“. Hier könnte im Rahmen einer Vergeistigung und Verstofflichung |GA 13, S. 145| an eine Parallele zu den verschiedenen früheren Erdverkörperungen in den Beschreibungen Rudolf Steiners (alter Saturn, alte Sonne, alter Mond; als Begriffe und „eben Namen für vergangene Entwickelungsformen“ eingeführt in GA 13, S. 148) gedacht werden.

8. Astrophysik und Weltentwicklung bei Rudolf Steiner

Wie sind nun die Erkenntnisse der Astrophysik mit der Weltentwicklungsanschauung Rudolf Steiners in Zusammenhang zu bringen? Will man sich dem annähern, so liegt es nahe, sich einem seiner Hauptwerke, der 1910 erschienenen „Geheimwissenschaft“ |GA 13| zuzuwenden. Wie sich zeigt, sind die von Rudolf Steiner beschriebenen Zusammenhänge von so grundsätzlicher Art, dass sie nicht nur für die Erdentwicklung, sondern auch für die Weltentwicklung als solche gelten. Und auf letztere, auf die Entstehung von Sternen und Galaxien, ist ja die astrophysikalische Forschung besonders ausgerichtet.

In der „Geheimwissenschaft“ finden wir im Kapitel über „Die Weltentwicklung und der Mensch“ folgende Einordnungen:

Für den „durch das geistige Wahrnehmen geschulten Forscher … sind alle Umwandlungen in dem Stofflichen des Erdenplaneten Offenbarungen geistiger Kräfte, die hinter dem Stofflichen liegen. Wenn aber solche geistige Beobachtung in dem Leben der Erde immer weiter zurückgeht, so kommt sie an einen Entwickelungspunkt, an dem alles Stoffliche erst anfängt zu sein. Es entwickelt sich dieses Stoffliche aus dem Geistigen heraus“ – wie wenn sich in Wasser „durch kunstvoll geleitete Abkühlungen Eisklumpen herausbildeten. … Dabei bleibt das Geistige auch während der stofflichen Entwickelungsperiode das eigentlich leitende und führende Prinzip.“

|GA 13, S. 139f|

An diesem Beispiel der Eisbildung veranschaulicht Rudolf Steiner nun gerade die Stelle, an der Geistiges zu Stofflichem wird:

„Man nehme an, es könne ein Wesen geben, das nur solche Sinne hätte, die Eis wahrnehmen können, nicht aber den feineren Zustand des Wassers, aus dem sich das Eis durch Abkühlung abhebt. Für ein solches Wesen wäre das Wasser nicht vorhanden; und es wäre für dasselbe von dem Wasser erst dann etwas wahrzunehmen, wenn sich Teile desselben zu Eis umgebildet haben. So bleibt für einen Menschen das hinter den Erdenvorgängen liegende Geistige verborgen, wenn er nur das für die physischen Sinne Vorhandene gelten lassen will. Und wenn er von den physischen Tatsachen, die er gegenwärtig wahrnimmt, richtige Schlußfolgerungen sich bildet über frühere Zustände des Erdenplaneten, so kommt ein solcher Mensch eben nur bis zu jenem Entwickelungspunkte, in dem das vorangehende Geistige sich teilweise zu dem Stofflichen verdichtete. Dieses vorangehende Geistige sieht eine solche Betrachtungsweise ebensowenig wie das Geistige, das unsichtbar auch gegenwärtig hinter dem Stofflichen waltet.“

|GA 13, S. 141|

Man beachte: In der „Geheimwissenschaft“ hat Rudolf Steiner die Entwickelungszustände der Erde „im Sinne der übersinnlichen Erkenntnis“ mitgeteilt |GA 13, S. 142|. Dabei spielt die Wahrnehmungsfähigkeit – für die übersinnliche genauso wie für die physische Forschung – die entscheidende Rolle:

„So wie man auf dem Gebiete der physischen Welt niemals logisch beweisen kann, ob es einen Walfisch gibt oder nicht, sondern nur durch den Augenschein, so können auch die übersinnlichen Tatsachen nur durch die geistige Wahrnehmung erkannt werden.“

|GA 13, S. 143|

9. Verständnisbrücken zwischen Natur- und Geisteswissenschaft

Das Webb-Teleskop ist bestrebt, die physische Wahrnehmung auf einem bisher unbekannten Feld zu erweitern und hat insofern besonderen Wert. Besonderen Wert hat die empirisch-sinnliche Forschung auch für den Geistesforscher, denn die Brücke zwischen Natur- und Geisteswissenschaft ist für ihn essentiell:

„Es kann aber nicht genug betont werden, daß es für den Betrachter der übersinnlichen Gebiete eine Notwendigkeit ist, bevor er in eigenem Wahrnehmen sich den geistigen Welten nähern will, zuerst sich durch die angedeutete Logik eine Ansicht zu verschaffen, und nicht minder dadurch, daß er erkennt, wie die sinnlich-offenbare Welt überall verständlich erscheint, wenn man voraussetzt, die Mitteilungen der Geheimwissenschaft seien richtig.“

|GA 13, S. 143|.

Damit hängt ein Hinweis zusammen, von dem man den Eindruck haben kann, dass er in manchen anthroposophischen Publikationen nur wenig ernst genommen wird: Es wäre für Rudolf Steiner geradezu wie ein Alp, wenn die

„Geisteswissenschaft sich in Widerspruch setzen müßte … zu den berechtigten Ergebnissen naturwissenschaftlicher Forschung.“

|GA 60, S. 315|

insbesondere auch zu den Ergebnissen der geologisch-kosmologischen Wissenschaft. Es geht also darum, „berechtigte Ergebnisse“ von unberechtigten zu unterscheiden. Eine generelle Ablehnung naturwissenschaftlicher Ergebnisse – oder auch nur Hypothesen – wäre „ein Alb“.

Alles kann

„lichtvoll und begreiflich für den Menschen werden, … wenn er die offenbaren Vorgänge“ – wie etwa empirische durch ein Teleskop gewonnene Erkenntnisse – „sich in die Beleuchtung rückt, welche ihm durch die Geheimwissenschaft ermöglicht wird.“

|GA 13, S. 145|

Ebenso wie auf dem Gebiet der Geologie (vgl. den Diskurs in |Schad, S. 74|) gilt es, auch auf dem Boden der Kosmologie „Verständnisbrücken“ zwischen Naturwissenschaft und Anthroposophie zu bauen. Hier eröffnet sich für die anthroposophisch orientierte Forschung ein weites Feld. Wo ergeben sich Ansatzpunkte für derartige Verständnisbrücken?

Ein Baustein hierfür wäre etwa der Hinweis, dass der „alte Saturn“

„… der Hauptsache nach, nur aus ‚Wärme‘ besteht. Nichts von gasförmigen, nichts von flüssigen oder gar von festen Bestandteilen ist zu finden.“

|GA 13, S. 156|

So findet sich auch ein Wärme-Zustand im Sinne von reiner Energie ohne Materiebildungen in den physikalisch-kosmologischen Modellen zu den Anfangszuständen des Alls.

Ähnlich wie bei den verschiedenen Erdverkörperungen der Geisteswissenschaft scheint es darüber hinaus in den Modellen so etwas wie Zwischenzustände gegeben zu haben. Zwischenzustände, die aus einer Art abendlicher „Dämmerung“ hervorgingen

„bis schließlich Finsternis einkehrte. Es war, als wäre das Feuer der Schöpfung unwiderruflich erloschen. Und doch ging aus dieser schwarzen Ödnis irgendwann unvermittelt eine Explosion des Neuen hervor. Wie aus dem Nichts flammten plötzlich gewaltige Sterne auf, sie formierten sich zu Haufen und schließlich zu ganzen Galaxien.“

|Grolle, S. 97|

10. Grenzen physikalischer Forschung und Wege zu ihrer Überwindung

In welchem Verhältnis stehen nun die Weltentwicklungs-Erkenntnisse der Naturwissenschaften generell zu denen der Geisteswissenschaft? Eine entsprechende Einordnung nimmt Rudolf Steiner in dem Vortrag „Was hat die Astronomie über die Weltentstehung zu sagen?“ vom 16.3.1911 [GA 60] vor.

Da im 19. Jahrhundert noch manch ein Astronom unhaltbare Mutmaßungen über die Weltentstehung veröffentlichte, ist heute Rudolf Steiners Klarstellung – ich denke sogar sehr weitgehend – grundsätzlich wissenschaftlicher Konsens:

„Daher sollten die, welche auf dem Boden der äußeren Physik stehenbleiben wollen, sich darauf beschränken, nur das zu erforschen, was Bewegungen oder was Kräfte sind, was also astronomisch zu erkennen ist; sie sollten sich gestehen, daß ein ganz anderer Fortschritt in der Erkenntnis notwendig ist, wenn die Astronomie zu einer Erklärung des Weltenwerdens kommen will, sollten sich gestehen, daß sie als Vertreter einer rationalistischen und empirischen Astronomie stehenbleiben müßten vor der Erklärung des Weltenwerdens.“

|GA 60, S. 470|

Hier kann man die Grenzen der Physik erleben. Wie wir oben gesehen haben, ist die eigentliche Weltentstehung für die Astrophysik tatsächlich „rätselhaft“. Damit stößt sie an eine mit physikalischen Mitteln grundsätzlich nicht zu überwindende Grenze – eine Schwelle, die nur durch geistige Erfahrung überschritten werden kann. Und es entsteht die Frage:

„Gibt es eine Möglichkeit, auf eine andere Art vorzudringen, um etwa die den kosmischen Raum ausfüllenden Seelen- und Geisteswesenheiten zu finden?“

|GA 60, S. 456|

Dafür gilt es, neue Fähigkeiten des Menschen zu betrachten und auszubilden.

„Wir werden sehen, daß gerade durch diese Betrachtungsweise, die den Menschen ausschaltet, es unmöglich ist, über solche Schranken hinauszukommen.“

|GA 323, S. 97|

Der Einfluss des Beobachters auf das Ergebnis muss in besonderen Fällen berücksichtigt werden („Heisenbergsche Unschärferelation“). Neu ist nun, den Menschen selbst als Reagens zu betrachten,

„… so daß man gewissermaßen den ganzen Menschen zum Reagens macht für dasjenige, was man mit Bezug auf die Himmelserscheinungen erkunden will.“

|GA 323, S. 114|.

Das führt auf die Frage, wie der Mensch sich zum Reagens machen – wie er übersinnliche Erkenntnisse erlangen kann.

Um ein Verständnis für diese andere Art zu wecken, geht Rudolf Steiner einen ungewöhnlichen Weg. Er setzt beim Gegenereignis des „Ur-Knalls“ an, dem sich physikalisch eindeutig ergebenden „Wärmetod“ am Ende aller Weltenentwicklung. Dieser beruht auf dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, den Rudolf Steiner „eines der wunderbarsten Gesetze des 19. Jhs.“ nennt. Etwas vereinfacht formuliert besagt dieser Satz: Wärme kann nicht von selbst von einem Körper niedriger Temperatur auf einen Körper höherer Temperatur übergehen. Dieses „nicht von selbst“ weckt die Frage nach anderen Kräften.

Tröstend für die gesamte Menschheit macht hier Rudolf Steiner auf die Überwindung dieses „Wärmetodes“ durch Geisteskräfte aufmerksam und vergleicht dies mit dem Weltenurbeginn:

„Aber wie beim Anfang der Erde geistige Mächte den Wärmezustand ergriffen haben, so führen aus den Weltennebeln, in welche durch den Wärmetod die Sonnensysteme eingemündet haben, geistige Mächte aus dem Wärmetod heraus die Weltennebel zu neuen Sonnensystemen. Es gibt eigentlich nichts Überraschenderes als die Übereinstimmung eines der wunderbarsten Gesetze des neunzehnten Jahrhunderts in seiner Anwendung auf die Astronomie – wie die Anwendung des zweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorie – mit den positiven, tatsächlichen Ergebnissen der astronomischen Beobachtungswelt. … wenn Sie von dem ausgehen, was wirklich im Spektroskop oder durch die Photographie der Weltengebilde gewonnen werden kann, so werden Sie sehen, daß alles bis ins letzte Glied hinein mit dem übereinstimmt, was als Werden der Welten und als Entwickelung der Welten aus der Geisteswissenschaft gewonnen werden kann, indem gezeigt wird, wie das, was man als astronomisches Raumesbild sieht, das Ergebnis – geistige Ergebnis – ist geistiger Wesenheiten.

… Der Mensch hat keinen Grund, den Wärmetod zu bekämpfen oder sich davor zu fürchten, denn er weiß, daß daraus neues Leben aufblühen wird, wie aus dem alten Wärmechaos das Leben aufgeblüht ist, das wir jetzt vor uns haben.“

|GA 60, S. 472|

Es gibt also „nichts Überraschenderes“ als diese thermodynamische Übereinstimmung von Erden- und Himmelsgesetzmäßigkeiten! Das lässt schließen, dass solch eine Übereinstimmung in der Tat nicht selbstverständlich sein dürfte.

Den in der Naturwissenschaft verbreiteten Begriffen „Wärmetod“ und „Ur-Knall“ stellt Rudolf Steiner das Aufblühen und das Welten-Geistesschaffen gegenüber. Begriffe, die uns Menschen das tatsächliche Wirken angemessener erschließen. Zur Welt gehören alle Welten, auch die der Sterne.

11. „Der Ruhesterne himmelkündende Worte“

Was für ein Aufruf ist es, der an uns Menschen in der neunten Stunde ergeht, sich im Geistes-Schaffen „der Ruhesterne himmelkündende Worte“ zu erhalten, sie nicht zu verlieren? Auch beim Betrachten und Erleben der Schönheit der Sternenwelten mögen wir nicht vergessen, dass die Himmelswelten zu uns sprechen und wir, soweit wir die Sprache wahrnehmen, dadurch auch Wesentliches erfahren können.

Das Aufblühens neuen Lebens kann als Zeugungsprozess empfunden werden – wie vor allem in den Worten: „Der Götter Sprache zeuget mich.“ Hier sind es Worte, die die zehnte Stunde abschließen, während die elfte Stunde ihre Mantren eröffnet mit einem auf die Sternenwelt gerichteten Bewusstsein: „Welten – Sternen – Stätten, / Götter – Heimat – Orte!“ Hinzu kommt dem Menschen in der zwölften Stunde Hilfreiches aus dem Bereich der zweiten Hierarchie, dass ihm aus „Sternen-Lebenskräften“ geschenkt wird.

Sehr wohl ist Rudolf Steiner bewusst, dass manch einer ihn dadurch als „Phantasten“ ansehen wird. Er begegnet diesem Vorwurf durch den Geist anerkennende Aussagen von angesehenen Forschern wie Biot, Liebig, Lyell und Darwin und hält fest:

„Überall sind die Sachen anders, wenn man auf die Quellen und auf diejenigen zurückgeht, die diese Quellen geschaffen haben, die die großen Pfadfinder sind auf dem Wege der menschlichen Erkenntnis, und nicht auf ihre Nachtreter, noch auf diejenigen sieht, die ein leichtgeschürztes Ideengebäude ausfindig machen wollen. … Mit denen, die die großen Pfadfinder waren, ist die Geisteswissenschaft überall im vollen Einklang.“

|GA 60, S. 475|

Auch die „großen Pfadfinder“ finden ihren Zugang zur Erhabenheit und Schönheit der Sternenwelt häufig über ihre Herzkräfte, ihr Gemüt:

„Das Hinaufdringen mit dem Gemüte zu den Sternen wird immer in jedem Gemüte die Ahnung von dem Geistig-Göttlichen hervorrufen.“

|GA 60, S. 476|

12. Der Mensch selber als Erkenntnis-Instrument

Wir hatten die Frage gestellt: Wenn nicht auf physikalischen Gesetzen, worauf sollten die Naturwissenschaftler denn sonst aufbauen?

Hierzu hat sich Rudolf Steiner so eindeutig geäußert, dass dieser vorgeschlagene Erkenntnisweg zweifellos breit geprüft werden sollte. In den Arbeitervorträgen beschreibt Rudolf Steiner die Astronomen, die sich als Forschungsinstrument auf ihr Fernrohr verlassen und lässt die Geisteswissenschaft erwidern:

„Die Geisteswissenschaft sagt: ‚Ach, was betrachtet ihr mit Fernrohren! Da seht ihr natürlich viel; wir wollen das auch anerkennen; aber das beste Instrument, das man verwenden kann, um das Weltenall zu erkennen, das ist der Mensch selber.‘ Am Menschen erkennt man alles. Der Mensch selber ist das beste Instrument, weil sich im Menschen alles zeigt.“

|GA 353, S. 261|

Wie sollte man aber nun zur Erkenntnis des Weltenursprungs vorgehen – gerade wenn der Mensch sogar das „beste Instrument“ dafür ist? Hierzu gibt Rudolf Steiner durch einige Hinweise im sogenannten astronomischen Kurs die Richtung an. Der Weg selbst bedarf nicht nur einer Einarbeitung, sondern einer geradezu aktiven Schulung – wie sie etwa auch von der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft gefördert wird. Aus der Beschreibung seien hier die zentralen Gedanken genannt:

„Dasjenige, was in der äußeren Realität draußen ist, das produziert der Kosmos, und unser Erkenntnisvermögen für diese Realität wird dadurch physisch organisiert, daß die Sphäre bloß auf unser Erkenntnisvermögen noch wirkt. Daher haben wir zu unterscheiden, selbstverständlich auch in der Genesis der Erde, eine Phase, in der starke Wirkungen so auftreten, daß aus dem Kosmos heraus konstituiert wird die Erde selbst, und eine spätere Phase der Erdenentwickelung, wo die Kräfte so wirken, daß konstituiert wird das Erkenntnisvermögen für diese realen Dinge.

Nur auf diese Weise kommt man wirklich heran an die Welt. Sie können nun sagen: Ja, das ist eine Erkenntnismethode, die heute mit dem Mikroskop und dem Teleskop befolgt wird [… werden müsste? MT]. Mag sein, dass sie dem Menschen weniger sicher vorkommt, aber wenn die Dinge so beschaffen wären, dass man eben mit denjenigen Methoden, die heute beliebt sind, nicht an die Realität herankommen könnte, wenn eben die absolute Notwendigkeit vorläge, dass man mit anderen Arten des Erkennens die Wirklichkeit umfassen muss, dann muss man sich eben bequemen, diese anderen Arten des Erkennens auszubilden.“

|GA 323 (1997), 195f|

Kenyon folgert hieraus:

„Dieses Zitat unterstellt, dass die Naturgesetze heute nicht dieselben sein können wie in einer früheren Phase, in der ‚konstituiert wird die Erde selbst‘.“ Und weiter: „Es ist unser Karma, das letztlich die Art des Lichts bestimmt, das wir in unseren Teleskopen beobachten.“

|Kenyon, S. 11|

Auch wenn manch einer in seinen eigenen Folgerungen nicht so weit gehen mag, so wird doch erkennbar, dass hier letztlich die höhere Geistesschulung den Menschen auf den allein richtigen Weg führt.

Diese höhere Geistesschulung baut auf einem meditativen Leben auf. So führt auch die Grundsteinmeditation den Geist-erinnernden Menschen an den Sein-erzeugenden Prozess heran: „Denn es waltet der Vater-Geist der Höhen in den Weltentiefen Sein-erzeugend“.

Möchte man den Urgrund alles Stofflichen ergründen, wird man – quellenmäßig im Zusammenhang mit Platon – auf die reine Form geführt.

„Die letzte Wurzel der Erscheinungen ist also nicht die Materie, sondern das mathematische Gesetz, die Symmetrie, die mathematische Form“,.

|Werner Heisenberg in Toepell 1991, S. 52|

Mathematische Formen und Strukturen tragen rein geistigen Charakter, sind rein geistige Entitäten. Vermögen sie dem Meditierenden auch bei der Erschließung des Welten-Urbeginnes Orientierung zu geben? Hier kann sich – bei vorsichtigem Herantasten – ein möglicher Zusammenhang ergeben zwischen den Anfangsversen des Johannesevangeliums und den mathematischen Grundstrukturen. Erste Anregungen dazu finden sich im Beitrag „Zur spirituellen Dimension mathematischer Bildung“ |Toepell 2015, dort S. 296-299|.

Es sind dies die Grundstrukturen des Gebietes, das in der Zeit der Entstehung der „Philosophie der Freiheit“ auf dem Feld der Mathematik von Georg Cantor entdeckt wurde: der Mengenlehre. Die Beziehung dieses Gebietes zum intuitiven Denken bei Cantor und dessen Schwellenerlebnissen hat Günter Röschert in |Röschert, S. 13 – 26| beschrieben.

Blicken wir zurück, so zeigt sich: Den Schaffensprozess im eigentlichen Weltenursprung durch eigene Ich-Kraft zu erkennen und damit auch ein Stück weit zu erleben, kann nicht durch die bisherigen naturwissenschaftlichen Methoden geleistet werden. Dazu bedarf es einer Geistesschulung, die zugleich als Ziel der Menschheitsentwicklung empfunden werden kann. Ahnend kann sich der Mensch dem nähern durch das mahnende Wort der ersten Hierarchie am Ende der 17. Stunde: „Welt ist Ich-wollend Geisteswort.“ Der Weg leitet das Menschen-Ich weiter, bis es in der abschließenden Stunde zu dem Welten-Urbeginn, dem „Ur-Sein“ geführt wird, in dem das Menschen-Herz „schaffendes Geistes-Flammen-Sprechen“ finden kann.

Quellen

– ardalpha: James Webb-Weltraumteleskop – Unser neues Auge im All. 23.8.2022 auf www.ardalpha.de/wissen/weltall/raumfahrt/james-webb-teleskop-weltraum-nasa-100.html

– Banner, Tanja: Entdeckung von „James Webb“-Teleskop könnte Kosmologie auf den Kopf stellen. 28.2.23: www.msn.com/de-de/nachrichten/wissenundtechnik/gigantische-galaxien-stellen-bisherige-kosmologische-modelle-infrage/ar-AA181ax4

– Cross, Charles: Spirituelles Leben in der Wissenschaft. Das Goetheanum 3.3.2023, S. 3

– dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH: „James Webb“-Teleskop: So entstehen die faszinierenden Weltraumbilder. 22.9.2022. www.zeit.de/news/2022-09/22/so-entstehen-die-faszinierenden-weltraumbilder

– Grolle, Johann: Das Geheimnis der Schöpfung. Der Spiegel Nr. 52 (23.12.2022), S. 94-101

– Hilbert, David: Grundlagen der Geometrie. 14. Auflage. Hrsg. und mit Anhängen versehen von M. Toepell. B.G. Teubner Stuttgart/Leipzig 1999. (Teubner-Archiv zur Mathematik – Supplementband 6)

– Held, Wolfgang: Der Zauber des Anfangs. Das Goetheanum 10.3.2023, S. 4-5

– Kenyon, Matthew: Kosmologie aus dem Einssein erforschen. Das Goetheanum 21.10.2022, S. 6-11

– Kepler, Johannes: Quid sit Hypothesis Astronomica. In: Apologia Tychonis contra Ursum. Gesammelte Werke Bd. 20.1: Manuscripta Astronomica (I). Bearb. V. Bialas; F. Boockmann. Bayer. Akad. d. Wiss. C.H. Beck München 1988. S. 15 – 62. Nachbericht: S. 460-477.

– Röschert, Günter: Ethik und Mathematik – Intuitives Denken bei Cantor, Gödel, Steiner. Verlag Freies Geistesleben 1985.

– Schad, Wolfgang: Der Zeitbegriff in der Erdgeschichte. Die Drei (2003) H.5, S. 73-76

– Steiner, Rudolf: Die Geheimwissenschaft im Umriss. GA 13. (11910) Dornach 301989

– Steiner, Rudolf: Was hat die Geologie über die Weltentstehung zu sagen? Vortr. v. 9.2.1911. GA 60 (1983) S. 315-344

– Steiner, Rudolf: Was hat die Astronomieüber die Weltentstehung zu sagen? Vortr. v. 16.3.1911. GA 60 (1983) S. 441-477

– Steiner, Rudolf: Das Verhältnis der verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebiete zur Astronomie. 1921. GA 323. Dornach 31997

– Steiner, Rudolf: Die Geschichte der Menschheit und die Weltanschauungen der Kulturvölker. Arbeitervorträge 1924. GA 353 Dornach 1988

– Toepell, Michael: Über die Entstehung von David Hilberts „Grundlagen der Geometrie“. (Dissertation 1984). Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 1986. (Studien zur Wissenschafts-, Sozial- und Bildungsgeschichte der Mathematik. Bd.2)

– Toepell, Michael: Platonische Körper in Antike und Neuzeit. In: Platonische Körper – Unterricht und Geschichte. Der Mathematikunterricht Jg. 37 (1991) Heft 4. S. 45-79.

– Toepell, Michael: Zur spirituellen Dimension mathematischer Bildung. In: Loebell, Peter; Buck, Peter (Hrsg.): Spiritualität in Lebensbereichen der Pädagogik. Diskussionsbeiträge zur Bedeutung spiritueller Erfahrungen in den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen. Opladen Berlin Toronto: Barbara Budrich 2015. S. 281-301

– Wußing, Hans: Geschichte der Naturwissenschaften. Köln: Aulis 21987.

Prof. Dr. Michael Toepell: geb. 1951 in Traunstein/Obb., Studium der Physik, Mathematik und Astronomie LMU München und Goetheanum Dornach. Nach dem 2. Staatsexamen sieben Jahre Gymnasial- und Waldorflehrer. Promotion 1984 in Geschichte der Naturwissenschaften und Habilitation 1992 in Geschichte der Mathematik LMU München. Seit 1993 Professor für Mathematik und ihre Didaktik an der Universität Leipzig. 2011 Hon.-Prof. Universität Pecs/Ungarn. Seit 2012 Mitglied im Hochschulbeirat der Freien Hochschule Stuttgart und 2016 im Graduiertenkolleg Waldorfpädagogik der Alanus-Hochschule Alfter. Lebt in München.

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